Nach § 198 Abs. 2 BewG kann als Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts regelmäßig ein Gutachten dienen. Das Gutachten ist
- vom zuständigen Gutachterausschuss i.S.d. §§ 192 ff. BauGB oder
- von Personen, die von einer staatlich oder staatlich anerkannten Stelle als Sachverständiger oder Gutachter für die Wertermittlung von Grundstücken bestellt worden sind oder
- von Personen, die von einer nach DIN EN ISO/IEC 17024 akkreditierten Stelle als Sachverständige oder Gutachter für die Wertermittlung von Grundstücken zertifiziert worden sind,
zu erstatten.
1. "Zulässiger Personenkreis"
Ortsgerichte müssen dem "zulässigen Personenkreis des § 198 Abs. 2 BewG" angehören. Nur dann können ihre Schätzungen (bzw. Gutachten) – vorbehaltlich einer inhaltlichen Überprüfung – anerkannt werden.
a) Zuständiger Gutachterausschuss
Ortsgerichte sind keine Gutachterausschüsse i.S.d. §§ 192 ff. BauGB. Die 17 hessischen Gutachterausschüsse sind abschließend in § 1 der hessischen Ausführungsverordnung zum Baugesetzbuch v. 15.6.2018 (GVBl. HE 2018, 258, zuletzt geändert durch Verordnung v. 16.3.2021, GVBl. HE 2021, 195) benannt.
b) Bestellung von einer staatlichen oder staatlich anerkannten Stelle
Aus dem Gesetzeswortlaut des § 198 Abs. 2 BewG ergibt sich: Gutachtenerstatter muss eine von einer staatlichen oder staatlich anerkannten Stelle als Sachverständiger bzw. Gutachter bestellte Person sein. Gutachtenerstatter kann daher nicht die staatliche oder staatlich anerkannte Stelle selbst sein.
Die materiell-rechtliche Grundlage für das Bestellungswesen von Sachverständigen ist § 36 GewO. Daher rührt auch die Formulierung "staatlich, staatlich anerkannt". Nach § 36 Abs. 1 Satz 1 GewO sind für die Bestellung von Sachverständigen, die von den Landesregierungen bestimmten oder nach Landesrecht zuständigen Stellen zuständig. Dies können etwa Kammern (IHK, LWK etc.), Regierungspräsidien oder Landesämter sein.
Auf Antrag sind besonders sachkundige und geeignete Personen für ein genau bestimmtes Sachgebiet (z.B. Bewertung bebauter und unbebauter Grundstücke) öffentlich zu bestellen (§ 36 Abs. 1 Satz 1 GewO).
Dementsprechend wird in den gleichlautenden Erlassen der Obersten Finanzbehörden der Länder v. 7.12.2022 (BStBl. I 2022, 1671 Rz. 3 und 5; s. ausführlich zu den Erlassen: Eisele, NWB 2023, 899; Lorenz, ZEV 2023, 141; Marquardt/Miethe, ErbStB 2023, 90) auch der Begriff der "öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen" verwendet.
Die Personen sind darauf zu vereidigen, "dass sie ihre Sachverständigenaufgaben unabhängig, weisungsfrei, persönlich, gewissenhaft und unparteiisch erfüllen und ihre Gutachten entsprechend erstatten werden" (§ 36 Abs. 1 Satz 2 GewO). Personen i.S.d. § 36 Abs. 1 Satz 1 GewO können demnach nur natürliche Personen sein. Nur sie können einen Eid leisten (s.a. Schlehe in Bayerlein/Bleutge/Roeßner, Praxishdb. Sachverständigenrecht, § 3 Rz. 2 und 61). Ortsgerichte sind keine natürlichen Personen. Demnach sind sie auch keine von einer staatlich oder staatlich anerkannten Stelle für die Wertermittlung von Grundstücken bestellten Sachverständigen oder Gutachter.
c) Zertifizierung von einer nach DIN EN/ISO IEC 17024 akkreditierten Stelle
Weiterhin können nur natürliche Personen von einer nach DIN EN ISO/IEC 17024 akkreditierten Stelle als Sachverständige oder Gutachter für die Wertermittlung von Grundstücken zertifiziert werden.
Im Rahmen einer Kleinen Anfrage wurde gefragt, ob die hessische Landesregierung eine Finanzierung oder Bezuschussung der Fortbildung für die Ortsgerichte plane, um eine Zertifizierung nach DIN EN ISO/IEC 17024 zu ermöglichen, damit die Ortsgerichte weiterhin i.R.d. § 198 BewG tätig werden können. Die ehemalige hessische Justizministerin Kühne-Hörmann führte hierzu – zutreffend – verneinend aus:
"Als Hilfsbehörde der Justiz kann ein Ortsgericht selbst keine Zertifizierung nach DIN EN ISO/IEC 17024 erreichen, sondern nur die jeweiligen Mitglieder des Ortsgerichts." Zertifizierte Ortsgerichtsmitglieder könnten insoweit nur "als eigenständig zertifizierte Sachverständige" tätig werden (HE LT-Drucks. 20/6695, 3).
2. Gutachtenerstattung
Zum Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts ist die Vorlage eines Gutachtens erforderlich. Das Gutachten ist auf Grundlage der ImmoWertV zu erstatten (§ 198 Abs. 1 Satz 2 BewG i.V.m. § 199 Abs. 1 BauGB i.V.m. § 1 ImmoWertV). Zur Ordnungsmäßigkeit eines Gutachtens gehören methodische Qualität und eine zutreffende Erhebung und Begutachtung der Begutachtungsgrundlage (Erlasse v. 7.12.2022 – S 3229, BStBl. I 2022, 1671 Rz. 7 = ErbStB 2023, 78 [Günther]; zu den Anforderungen an ein Sachverständigengutachten: Marquardt/Miethe, ErbStB 2023, 90 [93 m.w.N.]).
Die Ortsgerichte schätzen u.a. Werte von Grundstücken. Über die Schätzungen stellen sie Schätzungsurkunden aus (§ 18 Abs. 3 OGerG HE). Welchen Wert und wie sie schätzen, bleibt offen (Kleiber, GuG 2011, 164). Ob Schätzungsurkunden ordnungsgemäße Gutachten im vorstehenden Sinne sind, kann für Zwecke des Nachweises des niedrigeren gemeinen Werts (§ 198 BewG) dahingestellt bleiben. Wie oben ausgeführt, gehören Ortsgerichte nicht zum "zulässigen Personenkreis des § 198 Abs. 2 BewG".