Rz. 12
"Können arbeitsunfähige Versicherte nach ärztlicher Feststellung ihre bisherige Tätigkeit teilweise verrichten und können sie durch eine stufenweise Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit voraussichtlich besser wieder in das Erwerbsleben eingegliedert werden, soll der Arzt auf der Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit Art und Umfang der möglichen Tätigkeiten angeben..." (§ 74 SGB V). Obwohl es also in der Krankenversicherung eine spezielle Rechtsgrundlage für die stufenweise Wiedereingliederung gibt, gilt das Verfahren zu § 44 SGB IX wegen der vergleichbaren Zielrichtung dem Grunde nach adäquat in der Krankenversicherung.
Ist die Begrenzung der Belastung durch eine vorübergehende Verringerung der Arbeitszeit angezeigt, kann dies eine geeignete Maßnahme zur stufenweisen Wiedereingliederung sein (geregelt für die Krankenversicherung in § 7 der AU-Richtlinie i. V. m. Ziff. 1 und 3 der Anlage zur AU-Richtlinie, Text; vgl. Rz. 56 ff.). Der Wiedereinzugliedernde nimmt in diesen Fällen zunächst nur stundenweise die Arbeit wieder auf und steigert ständig seine Arbeitszeit bzw. Arbeitsbelastung, bis er nach einer gewissen Zeit (ca. 70 % aller Fälle innerhalb eines Zeitraumes zwischen 2 und 6 Wochen) wieder voll in den Arbeitsprozess seines alten Arbeitsplatzes integriert ist (§ 7 der AU-Richtlinie i. V.m. der Anlage zur AU-Richtlinie; a. a. O.). Die stufenweise Wiedereingliederung erfolgt nach einem ärztlichen Plan (z. B. § 74 SGB V; Vordruck-Muster 20 bei Durchführung einer stufenweisen Wiedereingliederung unter Beteiligung der Krankenkasse, vgl. Rz. 14 f. oder Vordruck G0834, vgl. Rz. 19a, wenn der Rentenversicherungsträger zuletzt die Kosten der medizinischen Rehabilitationsleistung trug) und soll längstens 6 Monate dauern (§ 7 der AU-Richtlinie i. V. m. Ziff. 1 der Anlage zur AU-Richtlinie). Eine Überschreitung der Höchstdauer ist im Einzelfall möglich, wenn gesundheitliche Veränderungen oder Rückschläge eine längere Maßnahmedauer erfordern.
Rz. 13
Aus medizinischer Sicht muss eine günstige Aussicht auf eine stufenweise Wiedereingliederung in die bisherige Arbeitswelt des arbeitsunfähigen Arbeitnehmers bestehen. Nach dem Sinn und Zweck des § 44 muss nicht die volle Wiedererlangung früherer Fähigkeiten bzw. der bisher vertraglich vereinbarten Arbeitsleistung prognostiziert werden. Auch die Befähigung zu einer nach Art, Dauer, zeitlicher und räumlicher Lage veränderten Arbeitstätigkeit kann Eingliederung in das Erwerbsleben sein (BAG, Urteil v. 13.6.2006, 9 AZR 229/05; hier ergangen zu § 74 SGB V). Ausreichend ist eine sinnvoll in der betrieblichen Organisation einsetzbare Fähigkeit.
Zu der Thematik, dass der arbeitsunfähige Arbeitnehmer nach der stufenweisen Wiedereingliederung i. S. d. § 44 nur noch 4 statt früher 8 Arbeitsstunden befähigt werden wird, führt das LSG München in seinem Urteil v. 25.4.2018 (L 13 R 64/15) Folgendes aus:
Zitat
Eine am Wortlaut "voraussichtlich besser wieder in das Erwerbsleben eingegliedert" orientierte Auslegung ergibt vielmehr, dass zum einen eine Prognoseentscheidung zu treffen ist ("voraussichtlich"), während die "bessere Wiedereingliederung" den Gegenstand der Prognose umreißt. Im streitgegenständlichen Verfahren ist zu berücksichtigen, dass eine Arbeitsleistung von vier Stunden täglich, die nach Beginn der stationären Rehabilitationsbehandlung noch nicht unmittelbar möglich war, auf jeden Fall eine Besserung bezogen auf den Zustand vor Inanspruchnahme der Rehabilitationsleistung ist. Diese Besserung wird jedoch durch die stufenweise Wiedereingliederungsmaßnahme überhaupt erst erreicht. Der Wortlaut der Vorschrift stellt eben nicht auf eine vollständige Wiedereingliederung in das Erwerbsleben ab, sondern alleine auf eine bessere Wiedereingliederung.
Rz. 14
Zwecks Abklärung einer stufenweisen Wiedereingliederung hat der Arzt zu prüfen, ob aus medizinischer Sicht Bedenken gegen den Wiedereingliederungsprozess bestehen. Wünscht sich der Versicherte eine stufenweise Wiedereingliederung, kann jedoch seine bisherige Tätigkeit auch ohne die stufenweise Wiedereingliederung im vollen Umfang wieder aufnehmen, scheidet ein stufenweiser Wiedereingliederungsprozess aus. Gleiches gilt, wenn der Versicherte auf Dauer erwerbsgemindert bleibt bzw. nicht mehr in der Lage sein wird, seine bisherigen Arbeitsaufgaben zu verrichten. Hierzu kann der Arzt nach Zustimmung des Versicherten vom Arbeitgeber/Betriebsarzt oder über die Krankenkasse eine Beschreibung über die Anforderungen der Tätigkeit des Versicherten anfordern (vgl. Ziff. 2 der Anlage zu den AU-Richtlinien, Text vgl. Rz. 58).
Hat der Arzt Zweifel, ob aus medizinischer Sicht ein stufenweiser Wiedereingliederungsprozess sinnvoll bzw. möglich ist, kann er über die Krankenkasse den Medizinischen Dienst (MD; § 275 Abs. 1 SGB V) zwecks Begutachtung einschalten.
Soll die stufenweise Wiedereingliederung des Arbeitsunfähigen in Zusammenarbeit mit einer gesetzlichen Krankenkasse erfolgen (weil der Versicherte arbeitsunfähig ist und Krankengeld erhält) und...