2.4.1 Überblick
Rz. 30
Aufgrund einer bestehenden Arbeitsunfähigkeit ist der Arbeitnehmer nicht verpflichtet, seine Arbeitsstelle aufzusuchen. Während der stufenweisen Wiedereingliederung muss jedoch der Arbeitnehmer an jedem Eingliederungstag zu seinem Arbeitsort fahren. Das kann im Vergleich zu einem Arbeitnehmer, der die Durchführung einer stufenweisen Wiedereingliederung ausgeschlagen hat, zu zusätzlichen finanziellen Belastungen führen, z. B. dann, wenn der Arbeitnehmer
- für die Fahrt zur Arbeitsstelle jeden Tag seinen Privat-Pkw benutzte und dieses trotz fortbestehender Arbeitsunfähigkeit auch für die Zeit der stufenweisen Wiedereingliederung tut oder
Es stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob z. B. die Krankenkasse gemäß § 60 SGB V oder der Rentenversicherungsträger gemäß § 28 SGB VI i. V. m. § 73 SGB IX die Fahrkosten übernehmen kann. Diese Frage ist berechtigt, weil das während des Eingliederungsprozesses weitergezahlte Kranken- bzw. Übergangsgeld im Vergleich zum bisherigen Nettoarbeitsentgelt deutlich geringer ausfällt. Auf jeden Fall schuldet der Arbeitgeber dem arbeitsunfähig erkrankten und stufenweise wiedereinzugliedernden Arbeitnehmer aus arbeitsrechtlicher Sicht keine Fahrkostenerstattung (BAG, Urteil v. 28.7.1999, 4 AZR 192/98).
Rz. 31
Die bisherige Sozialgerichtsbarkeit unterscheidet bezüglich der Übernahme der Fahrkosten aus Anlass der stufenweisen Wiedereingliederung, ob sich die stufenweise Wiedereingliederung an eine ambulante oder stationäre Rehabilitationsleistung anschließt bzw. mit ihr im Zusammenhang steht. Wenn ja, wird der Anspruch auf Fahrkostenübernahme
jeweils in Verbindung mit § 73 SGB IX bejaht. Wenn die stufenweise Wiedereingliederung solitär, also nicht im Zusammenhang mit einer Leistung nach den §§ 40, 41 SGB V bzw. §§ 15, 31 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI, durchgeführt wurde, wird eine Übernahme der Fahrkosten verneint. Nachstehend die Einzelheiten (Krankenversicherung: Rz. 32 ff., Rentenversicherung: Rz. 35 f.).
2.4.2 Fahrkostenübernahme durch die Krankenkasse
Rz. 32
Ein zum Zeitpunkt der Drucklegung wegweisendes Urteil ist das zum Zeitpunkt der Drucklegung noch nicht rechtskräftige Urteil des LSG Sachsen v. 21.9.2022 (L 1 KR 365/20). Das Urteil setzt sich mit den Fallgestaltungen auseinander, in denen die stufenweise Wiedereingliederung in einem inneren Zusammenhang mit einer ambulanten oder stationären Rehabilitationsleistung nach § 40 SGB V (adäquat § 41 SGB V)
- steht oder
- nicht steht.
zu a)
Steht die stufenweise Wiedereingliederung mit einer von der Krankenkasse durchgeführten Rehabilitationsleistung nach § 40 SGB V (adäquat § 41 SGB V) in einem inneren Zusammenhang, bejaht das LSG Sachsen mit dem Urteil v. 21.9.2022 (L 1 KR 365/20) den Anspruch auf Fahrkosten im Rahmen des § 60 Abs. 5 SGB V. Danach werden Reisekosten im Zusammenhang mit Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nach § 73 Abs. 1 und 3 SGB IX übernommen. Ist kein Zusammenhang gegeben, wird der Anspruch verneint (LSG Sachsen, Urteil v. 21.9.2022, L 1 KR 340/21; noch nicht rechtskräftig; vgl. Ausführungen zu b).
Das LSG begründet sein Urteil (L 1 KR 365/20) u. a. wie folgt:
Zitat
Zu den Leistungen zur medizinischen Rehabilitation kann die stufenweise Wiedereingliederung nur dann zählen, wenn sie mit einer eigentlichen medizinischen Rehabilitationsleistung in einem so engen Zusammenhang steht, dass sie als ein auf das Rehabilitationsziel zu beziehender Bestandteil einer in der Zusammenschau einheitlichen (Gesamt-)Maßnahme gewertet werden kann (BSG, Urteil vom 29.1.2008 – B 5a/5 R 26/07 R – juris Rn. 27 f.; Urteil vom 5.2.2009 – B 13 R 27/08 R – juris Rn. 20 f.; Urteil vom 20.10.2009 – B 5 R 44/08 R – juris Rn. 34). Dies hat das BSG zwar zur Abgrenzung der Zuständigkeiten von Kranken- und Rentenversicherungsträgern entschieden, beansprucht aber auch für die Leistungsansprüche der Versicherten Geltung. Danach ist – der gesetzlichen Wertung in § 44 SGB IX entsprechend – die stufenweise Wiedereingliederung leistungsrechtlich nicht für sich allein Bestandteil der medizinischen Rehabilitation, sondern nur, wenn sie im Zusammenhang mit einer Leistung zur medizinischen Rehabilitation erfolgt. Soweit das BSG in der stufenweisen Wiedereingliederung eine "Hauptleistung" erblickt hat (Urteil vom 20.10.2009 – B 5 R 44/08 R – juris Rn. 38), folgt daraus nichts anderes. Denn damit hat das BSG nur begründet, warum die stufenweise Wiedereingliederung von Nebenleistungen wie dem Übergangsgeld (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI) begleitet werden kann. Nicht aufgegeben, sondern vielmehr daran festgehalten hat da...