a) Kein Gestaltungsmissbrauch in Fällen des § 23 EStG
Wird ein Grundstück schenkweise übertragen, hat dies neben der schenkungsteuerlichen Komponente auch einkommensteuerliche Rechtsfolgen, sofern das Grundstück der Einkünfteerzielung dient, ohne dass dies gestaltungsmissbräuchlich wäre. Dies hat der BFH auch für den Bereich des § 23 EStG (steuerpflichtige Grundstücksveräußerungen) mit Urt. v. 23.4.2021 – IX R 8/20, BStBl. II 2021, 743 = ErbStB 2021, 297 [Rothenberger], klargestellt.
Im Streitfall hatte die Stpfl. im Jahr 2011 ein Grundstück erworben. In 2012 übertrug sie das Eigentum an ihrem Grundstück unentgeltlich jeweils zu hälftigem Miteigentum auf ihren volljährigen Sohn und ihre volljährige Tochter. Diese veräußerten noch am selben Tag das Grundstück an einen Dritten. Der Kaufpreis wurde je zur Hälfte an die Kinder ausgezahlt. Die Verkaufsverhandlungen mit dem Erwerber waren allein von der Stpfl. geführt worden.
Der BFH entschied, dass ein Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten (§ 42 AO), der zur Entstehung des Steueranspruchs aus der Veräußerung des Grundstücks bei der Klägerin führen könnte, im Streitfall nicht vorliegt. Denn die unentgeltliche Übertragung des Grundstücks an einen Dritten, der das Grundstück sodann innerhalb der Veräußerungsfrist des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 EStG veräußert, unterfällt dem Anwendungsbereich des § 23 Abs. 1 Satz 3 EStG und stellt daher ungeachtet der zeitlichen Nähe zwischen Übertragung und Weiterveräußerung grundsätzlich keinen Gestaltungsmissbrauch i.S.d. § 42 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 AO dar.
Beraterhinweis Greift § 42 Abs. 1 Satz 2 AO, bestimmen sich die Rechtsfolgen allein nach dieser Vorschrift. Daneben kommt die Annahme eines Missbrauchs von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts nach § 42 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 AO und die daran anknüpfende Rechtsfolge in § 42 Abs. 1 Satz 3 AO grundsätzlich nicht in Betracht. Denn bei § 23 Abs. 1 Satz 3 EStG handelt es sich um eine Regelung, die der Verhinderung von Steuerumgehungen dient und damit um eine spezielle Missbrauchsverhinderungsvorschrift i.S.d. § 42 Abs. 1 Satz 2 AO.
b) Rechtsprechungsbeispiele für die Annahme von Gestaltungsmissbrauch
- Verkaufen Eltern ein Grundstück an ihr Kind und versprechen sie gleichzeitig, ihm einen bestimmten Geldbetrag zu schenken, kann dies gestaltungsmissbräuchlich sein mit der Folge, dass die Aufrechnung mit der Forderung aus dem Schenkungsversprechen gegen die Kaufpreisforderung steuerrechtlich nicht anerkannt wird (BFH v. 10.10.1991 – XI R 1/86, BStBl. II 1992, 239). Im Streitfall sah der BFH die Grenze zum Gestaltungsmissbrauch dadurch überschritten, dass ohne entsprechende wirtschaftliche Belastung beim Grundstücksübernehmer Anschaffungskosten für das Grundstück generiert werden sollten.
- Entsprechendes gilt, wenn der Kauf eines bebauten Grundstücks von der betagten Mutter unter Verrechnung des Kaufpreises mit einem gleichzeitig von den Eltern gewährten Darlehen erfolgte, dessen Rückzahlung auf 20 Jahre gestundet wurde (BFH v. 3.12.1991 – IX R 142/90, BStBl. II 1992, 397). Für die Anwendung von § 42 AO sprach im Streitfall insb. der Umstand, dass die Tilgung des Grundstückspreises bis zu einem Zeitpunkt gestundet wurde, den die Verkäuferin angesichts ihres Alters voraussichtlich nicht mehr erleben würde.
- Kaufen Eltern ein auf den Sohn unter Nießbrauchsvorbehalt unentgeltlich übertragenes Mietwohngrundstück zu einem überhöhten Entgelt zurück, weil der Sohn diesen Betrag zur Existenzgründung benötigt, kann darin ein Gestaltungsmissbrauch liegen, da in einem solchen Fall eine unentgeltliche Rückübertragung verbunden mit einer Geldschenkung oder einer Darlehensgewährung näher gelegen hätte (BFH v. 5.5.1992 – IX R 281/87, BFH/NV 1992, 661).
c) Rechtsprechungsbeispiele, in denen Gestaltungsmissbrauch verneint wurde
- Schenkt der Betriebsinhaber seiner Ehefrau einen Vermögensgegenstand (bzw. die Mittel zu seiner Anschaffung), um ihn dann für den Betrieb zu mieten, ist § 42 AO unabhängig davon zu verneinen, ob der Ehepartner in der Lage ist, die laufenden Aufwendungen für den Gegenstand einschließlich Finanzierungskosten aus den Mieten oder sonstigen eigenen Mitteln zu bestreiten (BFH v. 18.5.1995 – IX R 125/92, BStBl. II 1996, 5).
- Überträgt ein Elternteil Miteigentumsanteile an einem Grundstück schenkweise auf Kinder und verpflichten sich diese dazu, anteilige Miteigentumsanteile auf später geborene Geschwister zu übertragen, kann der Erwerb dieser Geschwister aufgrund interpolierender Betrachtung nach § 3 Nr. 6 i.V.m. § 3 Nr. 2 Satz 1 GrEStG steuerfrei sein. Die interpolierende Betrachtung ist dabei nicht durch § 42 AO ausgeschlossen, wenn die Übertragung von Miteigentumsanteilen auf später geborene Geschwister auf der Intention des schenkenden Elternteils beruht, den Kindern und künftigen Kindern i.R.d. vorweggenommenen Erbfolge ein Grundstück zu gleichen Teilen zu übertragen (BFH v. 16.12.2015 – II R 49/14, BStBl. II 2016, 292 = ErbStB 2016, 72 [Halaczinsky]).