Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine AdV von Schätzungsbescheiden mangels ernstlicher rechtlicher Zweifel an der Zulässigkeit der Schätzungsmethode
Leitsatz (amtlich)
Die Anwendung der amtlichen Richtsatzsammlung stellt nach der BFH-Rechtsprechung eine anerkannte Schätzungsmethode nach den Grundsätzen des äußeren Betriebsvergleichs dar. Soweit der BFH in dem anhängigen Revisionsverfahren X R 19/21 die Frage aufgeworfen hat, auf welchen Grundlagen und Parametern die Richtsätze beruhen, wie sie zustande kommen und welche Auswirkungen sich hieraus auf die Tauglichkeit eines äußeren Betriebsvergleichs anhand der amtlichen Richtsatzsammlung ergeben, ergibt sich hieraus gegenwärtig noch keine konkret absehbare Abweichung von der bisherigen Spruchpraxis. Es ergeben sich mithin im summarischen Verfahren auf gerichtliche Aussetzung der Vollziehung von Schätzungsbescheiden gegenwärtig noch keine ernstlichen rechtlichen Zweifel an der Zulässigkeit dieser Schätzungsmethode an sich.
Normenkette
AO § 162 Abs. 2, §§ 158, 140-148; FGO § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 S. 2
Tatbestand
Die Beteiligten streiten im Eilverfahren um die gerichtliche Aussetzung der Vollziehung von Schätzungsbescheiden im Anschluss an eine Steuerfahndungsprüfung.
Bei der Antragstellerin handelt es sich um eine mit Gesellschaftsvertrag vom xx.xx. 2012 gegründete GmbH mit Sitz in L. Ihre Gewerbeanmeldung erfolgte zum xx.xx.2013 und bezieht sich auf den Betrieb eines Buffet-Restaurants. Das Restaurant wurde am xx.xx.2013 eröffnet und hat etwa 220 Sitzplätze. Geschäftsführer der Antragstellerin ist seit dem xx.xx.2015 Herr A.
Die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht C führte zahlreiche Ermittlungsverfahren gegen den Hersteller und die Nutzer des PC-Kassensystems "E" der H GmbH (im Folgenden "H-Kassensystem"). Die Ermittlungen ergaben, dass dieses Kassensystem vornehmlich von Betreibern chinesischer Buffet-Restaurants erworben und genutzt wurde. Die Ermittlungen ergaben zudem, dass das Kassensystem vielfältige Manipulationsmöglichkeiten bietet, mit denen sich bereits ordnungsgemäß erfasste Umsatzbuchungen im Nachhinein wieder stornieren lassen, sodass sie weder in den Tagesabschlüssen noch im Speicher des Kassensystems enthalten sind. Nach den Ermittlungen zählte auch die Antragstellerin zum bundesweiten Kundenkreis des Kassenherstellers, sodass die zuständige Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht J am 8. November 2018 ein Ermittlungsverfahren gegen den Geschäftsführer der Antragstellerin einleitete und die Steuerfahndung J beim Finanzamt für zentrale Prüfungsdienste mit der Fortführung der Ermittlungen beauftragte. Die Steuerfahndungsprüfung erfolgte in Zusammenarbeit mit der branchenkundigen Betriebsprüfungsstelle des Finanzamtes L.
Am 23. Mai 2019 wurden aufgrund richterlichen Beschlusses die Geschäftsräume der Antragstellerin, die Wohnräume ihres Geschäftsführers, die Kanzleiräumlichkeiten ihres steuerlichen Beraters sowie die Geschäftsräume der O UG durchsucht. Letztere war in der Zeit von 2013 bis Anfang 2017 als Buchführungsservice für die Antragstellerin tätig. Bei der Durchsuchung wurde das im Betrieb befindliche H-Kassensystem der Antragstellerin sichergestellt. Es wurden überdies Buchführungsunterlagen und -daten bei der O UG sowie dem steuerlichen Berater sichergestellt.
Die Prüfer stellten fest, dass die O UG für die Buchführung der Antragstellerin lediglich das nicht revisionssichere Tabellenkalkulationsprogramm Excel eingesetzt hatte. Buchführungsunterlagen lagen lediglich für das Jahr 2016 in Papierform vor. Für das Jahr 2013 sowie die Zeiträume ab April 2017 lagen gar keine Buchführungsdaten vor. Die einzelnen Buchungen für die übrigen Zeiträume waren überdies weder schlüssig noch nachvollziehbar. So wurde etwa festgestellt, dass Buchungen mit nicht existenten Kalenderdaten erfasst wurden (zum Beispiel "31.09."), die erfassten Daten nicht mit den Buchungsbelegen übereinstimmten und teilweise lediglich Monatsenddaten oder Daten von Zahlungseingängen verwendet wurden. Kriterien, welche einen Rückschluss auf die Vollständigkeit der Buchungen zulassen (etwa Journalnummern etc.), lagen nicht vor. Darüber hinaus fehlten die Datensatzbeschreibungen, die Programmierdokumentationen sowie die Betriebsanleitung für das eingesetzte H-Kassensystem. Tagesabschlussbelege (Z-Bons) lagen lediglich für den Zeitraum vom 17. November 2018 bis zum 31. Dezember 2018 sowie vom 1. Mai 2019 bis zum 21. Mai 2019 vor. Nachvollziehbare Kassenberichte oder sonstige Kassenaufzeichnungen lagen nicht vor. In dem sichergestellten H-Kassensystem konnten außerdem lediglich für den Zeitraum vom 8. Juli 2017 bis zum 22. Mai 2019 (682 Tage) Kassendaten (insgesamt 144.267 Datensätze) ausgelesen werden. Weitere Kassendaten für die Jahre 2013 bis 2017 liegen nicht (mehr) vor.
Die Prüfer stellten ferner fest, dass das manipulierbare H-Kassensystem aus einem PC-Rechner mit Kassensoftware sowie einem Bon-Drucker besteht. Um die im Kassensystem angelegten Manipulationsmöglichkeiten zu nutzen,...