a) Bewusstes Handeln des Leistenden erforderlich
Subjektives Element ...: So ist zu beachten, dass eine spätere Steuerkorrektur durch L nicht bereits dann missbräuchlich ist, wenn sie ihm objektiv einen ungerechtfertigten Steuervorteil verschafft. Es muss vielmehr, damit das Handeln als missbräuchlich anzusehen ist, auch anhand objektiver Anhaltspunkte ersichtlich sein, dass mit den fraglichen Umsätzen im Wesentlichen ein Steuervorteil bezweckt wird. Im Prinzip muss L also Kenntnis von der Geltendmachung des Direktanspruchs durch LE haben und damit die Absicht, sich durch die Steuerkorrektur einen ungerechtfertigten Steuervorteil zu verschaffen.
... im EuGH-Fall offenbar erfüllt: Der EuGH schien davon auszugehen, dass L in der Konstellation, die dem vorgelegten Fall zugrunde lag, diese Kenntnis besaß. Daraus schloss er, dass L bei einer späteren Steuerkorrektur missbräuchlich handeln würde.
Muss aber nicht immer so sein: Diese Kenntnis muss bei L aber nicht zwingend bestehen. LE wird ihm im Regelfall nicht mitteilen, dass er einen Direktanspruch geltend gemacht hat, und eine Verpflichtung des L, sich bei Durchführung einer Steuerkorrektur zunächst bei LE zu erkundigen, ob dieser schon einen Direktanspruch geltend gemacht hat (oder beabsichtigt, einen solchen Anspruch geltend zu machen), dürfte wohl nicht bestehen. Eine solche Erkundigungspflicht wäre auch nicht praktikabel. Selbst wenn das bei einzelnen Geschäftsvorgängen im Prinzip noch machbar erscheint, wäre dann Voraussetzung, dass der Kunde bereit wäre, ihm Auskunft über seine steuerlichen Angelegenheiten zu erteilen. Das dürfte aber eher unwahrscheinlich sein. Wäre L aber z.B. ein Großhändler, der Waren an hunderte von Einzelhändlern verkauft, wäre eine solche Abfragepflicht wohl ohnehin bereits unverhältnismäßig. Ohne diese Kenntnis wäre aber der "subjektive Tatbestand" für missbräuchliches Handeln nicht erfüllt.
Fahrlässige Unkenntnis: Zwar reicht es eventuell auch aus, dass der L bei seiner Steuerkorrektur wissen müsste, dass LE einen Direktanspruch geltend gemacht hat. Auch diese Voraussetzung wäre aber im Regelfall nicht erfüllt.
Keine Vermutung: So kann nämlich nicht automatisch der Schluss gezogen werden, dass LE, wenn L die Verjährungseinrede erhebt (oder insolvent ist oder wenn es aus anderen Gründen für LE "übermäßig schwierig" war, die an L gezahlten MwSt-Beträge von diesem zurückzuerlangen), einen Direktanspruch geltend macht.
Fälle ohne Direktanspruch: Ein solcher Schluss würde sich beispielsweise schon in dem Fall verbieten, dass L seine Leistungen an nichtunternehmerische Personen erbringt (Verbraucher, Behörden etc.). Diese könnten lt. Finanzverwaltung nämlich keinen Direktanspruch geltend machen. Denn nach Auffassung des BMF ist Voraussetzung eines Direktanspruchs, dass der Anspruchsteller Unternehmer ist und die Leistung für sein Unternehmen bezogen hat. Außerdem dürfte die Geltendmachung eines Direktanspruchs ausscheiden, wenn die Veranlagungen des LE (falls Unternehmer) für die betreffenden VZ bereits bestandskräftig wären (wäre er vorsteuerabzugsberechtigt, bliebe dann ja auch der Vorsteuerabzug bestehen).
Aber auch wenn LE (vorsteuerabzugsberechtigter) Unternehmer ist und seine Veranlagungen noch nicht bestandskräftig sind, ist nicht gesagt, dass er, wenn L ihm aufgrund von zivilrechtlicher Verjährung die Rückzahlung der MwSt verweigert, einen Direktanspruch bei seinem FA geltend macht. Das kann schlicht auf Unkenntnis beruhen oder daran liegen, dass dem LE – abhängig von den Beträgen, die in Frage stehen – der administrative Aufwand zu hoch ist.