Dr. Hubertus Gschwendtner
Leitsatz
Werden in einem einheitlichen Erwerbsvorgang festverzinsliche Bundesanleihen zu einem unter ihrem Nominalwert liegenden Kurswert teils mit Krediten, teils mit Eigenmitteln angeschafft, ist die Kapitalanlage nicht in einen eigen- und einen fremdfinanzierten Anteil aufzuteilen. Bei der Prüfung der Überschusserzielungsabsicht sind die Schuldzinsen in vollem Umfang als Werbungskosten anzusetzen und nicht in einen auf die gesamten Zinseinnahmen und einen auf die steuerfreie Vermögensmehrung entfallenden Anteil aufzuteilen. Die Einkunftserzielung steht gegenüber der steuerfreien Vermögensmehrung im Vordergrund, wenn auf Dauer die gesamten Zinseinnahmen die gesamten Zinsaufwendungen übersteigen.
Normenkette
§ 3c EStG , § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 EStG , § 12 Nr. 1 EStG , § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG , § 42 AO 1977
Sachverhalt
Die Klägerin kaufte am 26.4.1991 Bundesanleihen mit einem Nominalwert von 180.000 DM zu einem Kurswert von 158.274 DM. Die Anleihen wurden mit 5,5 % verzinst. Die Laufzeit endete am 20.9.1996. Der Kauf wurde mit Eigenmitteln und mit dem Darlehen einer Bank über 100.000 DM finanziert. Das Darlehen war mit 9,75 % zu verzinsen und in einer Summe am 20.9.1996 zu tilgen.
In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1992 setzte die Klägerin bei Einkünften aus Kapitalvermögen die ihr zugeflossenen Zinsen aus den Bundesanleihen in Höhe von 9.900 DM als Einnahmen und die Aufwendungen für die Fremdfinanzierung in der vollen Höhe von 9.750 DM als Werbungskosten an. Das FA erfasste demgegenüber Einnahmen von 4.400 DM und vertrat die Auffassung, die Bundesanleihen seien in einen fremdfinanzierten und in einen eigenfinanzierten Teil aufzuteilen. Bei dem eigenfinanzierten Teil seien keine Werbungskosten entstanden. Soweit die Einnahmen auf den fremdfinanzierten Teil entfielen, fehle es an der Einkunftserzielungsabsicht.
Entscheidung
Das FG gab der Klage statt (EFG 2002, 1419). Der BFH bestätigte das Urteil. Die Kapitalanlage sei im Rahmen eines einheitlichen Geschäfts erworben worden und deshalb nicht in einen eigenfinanzierten und einen fremdfinanzierten Anteil aufzuteilen. Die Einkünfteerzielungsabsicht sei hinsichtlich des gesamten Geschäfts zu bejahen. Auch derjenige, der bei objektiver Betrachtung nur mit bescheidenen Überschüssen aus einer bestimmten Kapitalanlage rechnen könne, handle mit der Absicht, Einkünfte aus Kapitalvermögen zu erzielen. Eine Aufteilung der Schuldzinsen wegen ihrer Mitveranlassung durch den angestrebten Vorteil auf der nicht steuerbaren Vermögensebene und damit ein nur teilweiser Schuldzinsenabzug bei den Einkünften aus Kapitalvermögen sei nicht geboten.
Dieser Grundsatz gelte auch für solche Kapitalanlagen, bei denen sich für den Fall, dass der Anleger sie bis zu ihrem Ende behält, das Verhältnis von nicht steuerbarer Wertsteigerung und steuerpflichtigen Einnahmen im Zeitpunkt der Anschaffung berechnen lasse. Dieser Beurteilung stünden die Abzugsverbote des § 3c EStG und § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG nicht entgegen.
Hinweis
Der BFH hat in seinem Urteil vom 21.7.1981, VIII R 154/76 (BStBl II 1982, 37) seine Rechtsprechung aufgegeben, nach der Schuldzinsen nur bis zur Höhe der jährlich erzielten Einnahmen als Werbungskosten abgezogen werden konnten. Entscheidend sollte nunmehr sein, ob bei Erwerb der Kapitalanlage die Absicht der Erzielung steuerpflichtiger Einnahmen oder die Absicht der Erzielung steuerfreier Vermögensvorteile im Vordergrund steht. Das bedeutet für den Regelfall, dass die Schuldzinsen entweder ganz oder gar nicht abziehbar sind ("Vordergrund-Rechtsprechung").
Welche Absicht des Steuerpflichtigen im Vordergrund stand, ist regelmäßig anhand von Indizien festzustellen. Probleme ergeben sich aber dann, wenn die Absicht nicht geklärt werden kann. Da eine Beweislastentscheidung zu keinem vernünftigen Ergebnis führen würde, bleibt hier nur der Rückgriff auf die im Zeitpunkt des Erwerbs der Kapitalanlage objektiv erkennbaren Umstände. Dabei wird der Ertrag der Anlage (Zinsen, Dividenden usw.) meist feststellbar sein. Es sind regelmäßig die Wertsteigerungen, die nicht vorhersehbar sind. Und für diesen Fall hat die Rechtsprechung bisher betont, dass die hierauf gerichtete Absicht vernachlässigt werden könne, wenn "die Wertpapiere lediglich in der Hoffnung auf steuerfreie Wertsteigerungen oder Kursgewinne angeschafft worden" seien, dass aber eine Reihe von Fällen denkbar sei, in denen eine "Aufteilung der Aufwendungen auf die Kapitalanlage" vorzunehmen sei (vgl. u.a. BFH, Urteil vom 4.5.1993, VIII R 7/91, BStBl II 1993, 832, 834). Wo nur Hoffnungen bestehen, kann man bei der gebotenen typisierenden Betrachtungsweise davon ausgehen, dass sich die Erwertung einer Wertsteigerung und das Risiko eines Wertverlusts in etwa ausgleichen.
Das vorliegende Urteil geht erheblich weiter. Es wendet die "Vordergrund-Rechtsprechung" auch an, wenn die nicht steuerpflichtigen Wertsteigerungen von Anfang an bekannt sind und deshalb das Verhältnis feststeht, in dem Ertrag und Wertsteigerungen zueina...