Rz. 36
Von dem Verarbeitungsverbot für sensible Daten macht Art. 9 Abs. 2 DSGVO eine Ausnahme, wenn
- die betroffene Person in die Verarbeitung ausdrücklich eingewilligt hat,
- die betreffenden Daten von der betroffenen Person öffentlich gemacht worden sind,
- die Verarbeitung zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen oder bei Handlungen der Gerichte im Rahmen ihrer justiziellen Tätigkeit erforderlich ist oder
- die Verarbeitung auf der Grundlage des Unionsrechts oder des Rechts eines Mitgliedsstaates aus Gründen eines erheblichen öffentlichen Interesses erforderlich ist; das maßgebliche Recht muss dabei in angemessenem Verhältnis zu dem verfolgten Ziel stehen, den Wesensgehalt des Rechts auf Datenschutz wahren und spezifische Maßnahmen zur Wahrung der Grundrechte und Interessen der betroffenen Person vorsehen.
Der Gesetzgeber macht ausweislich der Gesetzesbegründung von dem Ausnahmetatbestand des Art. 9 Abs. 2 Buchst. g) DSGVO in § 29b Abs. 2 AO Gebrauch.
Neben den ausdrücklich in der Gesetzesbegründung genannten Verarbeitungsanlässen (Gewerkschaftsbeiträge oder Spenden an gemeinnützige Empfänger als Werbungskosten nach § 9 EStG oder Sonderausgaben nach § 10 EStG; Krankheitskosten als außergewöhnliche Belastungen nach § 33 EStG), für die nach Annahme des Gesetzgebers bereits Art. 9 Abs. 2 Buchst. g) DSGVO unmittelbar Anwendung findet, sind nach der allgemeinen Verarbeitungsvorschrift des § 29b Abs. 2 AO weitere Verarbeitungsanlässe (z. B. Religionszugehörigkeit zur Festsetzung der Kirchensteuer oder zum Sonderausgabenabzug bei gezahlter Kirchensteuer) umfasst.
Rz. 37
Soweit Art. 9 Abs. 2 DSGVO an eine nationale Ausgestaltung Anforderungen zur inhaltlichen Konturierung der Datenverarbeitungsregelung knüpft, ist zweifelhaft, ob die wortlautidentische Übernahme in § 29b Abs. 2 S. 1 AO diesen Anforderungen genügt. Vereinzelt wird der Regelung der "normative Eigenwert" mit der Folge abgesprochen, dass die generalklauselartige Umsetzung rechtliche Zweifel hinsichtlich der VO-Konformität aufwirft. Allerdings erhält die Befugnisnorm durch die Einbettung in das fachspezifische Verfahrensrecht der AO und die Anbindung an eine strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung hinsichtlich der verantwortlichen Behörden, der Verarbeitungsanlässe und -zwecke sowie des Umfangs der Datenverarbeitung hinreichende Konturen. Zudem hat sich die Regelungstechnik an dem sehr auf den Einzelfall bezogenen Verarbeitungsumfang und dem Ermittlungsaufwand und nicht zuletzt an der steten Weiterentwicklung der Verarbeitungsarten und -wege in der Steuerverwaltung zu orientieren, sodass die Umsetzung in nationales Recht als EU-Rechtskonform anzusehen ist.
Rz. 38
Die Verarbeitung sensibler Daten durch eine Finanzbehörde ist nach § 29b Abs. 2 S. 1 AO dann zulässig, wenn kumulativ die Verarbeitung aus Gründen eines erheblichen öffentlichen Interesses erforderlich ist und zudem die Interessen des Verantwortlichen an der Datenverarbeitung die Interessen der betroffenen Person überwiegen.
Rz. 39 einstweilen frei
3.1.1 Erhebliches öffentliches Interesse
Rz. 40
Was unter dem Begriff des erheblichen öffentlichen Interesses zu fassen ist, lässt sich durch einen Rückgriff auf die AO und das FVG ermitteln. Das der Allgemeinheit dienende öffentliche Interesse muss dabei die Erheblichkeitsschwelle überschreiten, also besonders bedeutend sein. Dass es sich bei der Gesetzmäßigkeit und Gleichmäßigkeit der Besteuerung um ein der Allgemeinheit dienendes, unverzichtbares öffentliches Interesse handelt, ergibt sich schon aus seiner verfassungsrechtlichen Verbürgung.
Ein erhebliches öffentliches Interesse an der Verarbeitung der sensiblen Daten, von dessen Vorliegen Art. 9 Abs. 2 Buchst. g) DSGVO und § 29b Abs. 2 S. 1 AO die Zulässigkeit der Verarbeitung abhängig machen, liegt dementsprechend immer dann vor, wenn Steuergesetze ausdrücklich an diese sensiblen Daten anknüpfen. In diesem Zusammenhang können auch die berechtigten Haushaltsinteressen der Mitgliedsstaaten ein erhebliches öffentliches Interesse begründen.
Rz. 41 einstweilen frei