Rz. 95
Das Weisungsrecht nach § 88 Abs. 3f. AO schafft generalisierende Gestaltungsmöglichkeiten eines gleichheitsgerechten aber zugleich auch wirtschaftlichen Gesetzesvollzugs. Die Regelung ergänzt die notwendige Einzelfallentscheidung um die Möglichkeit einer gruppenbezogenen Entscheidung.
Nach altem Recht war der Verzicht auf Prüfung und Auswertung der Mitteilung/des Besteuerungsmerkmals nur nach Maßgabe des § 156 AO möglich. Bekanntlich sind von dieser Rechtsgrundlage nur Maßnahmen abgedeckt, die anhand der Umstände des individuellen Einzelfalls die Schlussfolgerung zulassen, dass der mit der Steuerfestsetzung oder -änderung verbundene Aufwand als unverhältnismäßig anzusehen ist. In Fällen, in denen aus Außenprüfungen bei Personengesellschaften für viele Veranlagungszeiträume zahlreiche nach § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO bei den Beteiligten auszuwertende Mitteilungen produziert werden, hilft die Regelung des § 156 AO nicht weiter, da bei einer Probeberechnung auf Ebene des Beteiligten der meiste Verwaltungsaufwand bereits angefallen ist.
Um die Prüfung und Auswertung effizient zu gestalten und auf die ergiebigen Fälle zu beschränken, ist es erforderlich, dass i. S. einer allgemeinen Nichtaufgriffsgrenze bereits der Inhalt des mitgeteilten Besteuerungsmerkmals allein maßgebend ist für die Frage, ob diese Mitteilung näher bearbeitet wird oder nicht. Derartige abstrakte Risikoabschätzungen waren aber früher nicht zulässig.
Eine vergleichbare Interessenlage ergibt sich, wenn große Mengen von Besteuerungsmerkmalen übermittelt werden, eine technische Auswertung aber wegen unzutreffender Zuordnungsmerkmale (Name, Vorname, Steueridentifikationsnummer, Geburtsdatum) nicht oder nur erschwert möglich ist. Im Sinne eines wirtschaftlichen Gesetzesvollzuges wäre es hier angezeigt, nur die Fälle einer weiteren Bearbeitung zuzuführen, bei denen ein erhöhtes fiskalisches Risiko anzunehmen ist. Für die inländischen Mitteilungsverfahren wird sich aufgrund des neu geregelten Verfahrens nach § 93c AO und der Haftungsvorschrift nach § 72a Abs. 4 AO für unzutreffend übermittelte Besteuerungsmerkmale die Qualität der Mitteilung zügig verbessern. Dies wird nicht ohne Weiteres für die aufwachsenden Mitteilungsverfahren aus dem Ausland gelten, für die die §§ 72a Abs. 4 und 93c AO nicht gelten.
Rz. 96
Um die Ausformung des Weisungsrechts des § 88 Abs. 3 und 4 AO ist im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens am erbittertsten gerungen worden, da diese Regelungen für die aufgrund Schuldenbremse, demografischer Entwicklung und aufwachsender Zusatzaufgaben zunehmend in Bedrängnis geratenen Länderfinanzverwaltungen ein Entlastungsventil darstellt. Die einander in einem gewissen Widerstreit gegenüber stehenden Grundsätze der Auftragsverwaltung nach Art. 108 GG für den Bund einerseits und der Kostentragungspflicht gegen Beteiligung an den Steuereinnahmen sowie der Verwaltungshoheit aufseiten der Länder andererseits führten zu unterschiedlichen Sichtweisen, in wessen Verantwortung das Weisungsrecht liegen soll.
Rz. 97
Wird die Ermittlungstiefe im Rahmen von Wirtschaftlichkeits- und/oder Zweckmäßigkeitserwägungen nach § 88 Abs. 3 – 5 AO abgesenkt, so wirkt sich dies auf die vom Stpfl. zu fordernde Mitwirkung aus. Die Behördenentscheidung, gewisse steuerliche Sachverhalte lediglich auf Schlüssigkeit, nicht aber auch auf ihre Richtigkeit hin zu untersuchen, sind auf das Beweismaß zu übertragen. So ist i. d. R. die spätere Forderung von Beweismitteln für Sachverhalte, deren Schlüssigkeit bereits im Rahmen eines vollautomatischen Veranlagungsverfahrens anerkannt worden ist, unzulässig. Vergleichbares gilt für Besteuerungsmerkmale, deren Prüfung und Erfassung durch die Landesfinanzbehörden aus in Weisungen nach § 88 Abs. 3 und 4 AO enthaltenen Wirtschaftlichkeits- und /oder Zweckmäßigkeitserwägungen unterblieben sind.
4.1 Allgemeine Weisungen (Abs. 3 S. 1)
Rz. 98
Einem an § 21a FVG angelehnten Zusammenspiel zwischen den obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder obliegt es nach § 88 Abs. 3 S. 1 AO, die entsprechenden Regelungen zu erarbeiten.
Rz. 99
Die auf die Einzelfallentscheidung zugeschnittenen Regelungen in Abs. 1 und 2 wurden damit um eine Regelung ergänzt, die eine gruppenbezogene Entscheidung über Art und Umfang der Ermittlungen ermöglicht. Dies kommt in Betracht, wenn eine Reihe von Steuerfällen sich bei den maßgebenden Besteuerungsmerkmalen in einer Weise ähneln, dass sie als zu einer Gruppe gehörig angesehen werden können. Erforderlich ist weiter, dass die steuerlichen Folgen bei allen Gruppenmitgliedern identisch sind. Als zusätzlicher Anwendungsfall ist die Verarbeitung erhobener oder erhaltener Daten aus ausländischen Mitteilungsverfahren sowie Daten i. S. d. § 93c AO erfasst.