Rz. 10
Die unvorschriftsmäßige Besetzung wird nur auf Rüge beachtet. Die Rüge muss schlüssig sein, d. h., es müssen konkrete Tatsachen vorgetragen werden, die eine fehlerhafte Besetzung als möglich erscheinen lassen. Der bloße Vortrag, das Gericht sei nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen, reicht deshalb nicht aus; ebenso eine bloße Vermutung. Vielmehr müssen konkrete Anhaltspunkte für die Fehlerhaftigkeit der Besetzung vorgetragen werden, z. B. dass nach einem Richterwechsel keine Vertagung der mündlichen Verhandlung beschlossen wurde, dass die im Urteil aufgeführten Richter nicht mit den Angaben im Protokoll übereinstimmen, dass die Besetzung nicht dem Geschäftsverteilungsplan entsprach oder dass die Übertragung auf den Einzelrichter nicht den gesetzlichen Voraussetzungen nach §§ 6, 79a Abs. 3, 4 FGO entsprach oder willkürlich, rechtsmissbräuchlich oder greifbar gesetzeswidrig war.
Rz. 11
Kennt der Revisionskläger die notwendigen Tatsachen nicht, muss er versuchen, sich beim FG Aufklärung zu verschaffen, z. B. durch Einsicht in die Geschäftsverteilungs- und Mitwirkungspläne und in die Unterlagen über die Wahl und Heranziehung der ehrenamtlichen Richter, die ggf. beim FG eingesehen oder angefordert werden müssen. Nur wenn die Auskünfte des FG unzureichend sind bzw. die Aufklärung ganz oder teilweise verweigert wird, kann der Revisionskläger von einem Verfahrensverstoß ausgehen. In der Rüge ist auf die entsprechende Stellungnahme des FG zur Besetzung einzugehen. Soll die nicht vorschriftsmäßige Besetzung der Laienrichterbank gerügt werden, sind z. B. konkrete Tatsachen dafür vorzutragen, dass der Vorsitzende die Terminierung entscheidungsreifer Sachen bewusst so lange verzögert, bis ihm genehme ehrenamtliche Richter an der Reihe sind. Solches Vorgehen dürfte in der Praxis kaum durch Tatsachen belegbar sein.
Ein Gericht ist nicht vorschriftsmäßig besetzt, wenn ein Richter während der mündlichen Verhandlung schläft und deshalb wesentlichen Vorgängen nicht folgt. Für die Rüge, das FG sei wegen eines in der mündlichen Verhandlung erschöpften oder vom Schlaf übermannten Richters nicht ordnungsgemäß besetzt gewesen, muss substanziiert dargelegt werden, aus welchen Tatsachen sich die Abwesenheit, d. h. die fehlende Konzentration des Richters auf die Verhandlung, ergibt und was während dieser Zeit in der mündlichen Verhandlung geschehen ist, insbesondere worüber verhandelt wurde, und dass sich dies auf die Entscheidung ausgewirkt hat. Bloße Vermutungen reichen nicht aus. Anzeichen einer Ermüdung wie das Schließen der Augen, zurückgelehntes Sitzen, Senken des Kopfes usw. schließen die Konzentration auf das Geschehen in der mündlichen Verhandlung nicht aus. Das Schließen der Augen sowie eine zusammengesunkene Haltung können auch Zeichen erhöhter Konzentration sein. Es müssen deshalb deutliche Anzeichen geistiger Abwesenheit vorgetragen werden, wie tiefes, hörbares und gleichmäßiges Atmen oder Schnarchen oder eindeutige Anzeichen fehlender Orientierung. Abgesehen davon hindert nicht jede Ermüdung, wie sie bei anstrengenden Sitzungen vorkommen kann, einen Richter an der Verarbeitung der Vorgänge der Verhandlung. Ein Absacken des Kopfs nach hinten und eine ruckartige Bewegung nach vorn lassen allenfalls auf einen "Sekundenschlaf" schließen, der nicht daran gehindert hat, den wesentlichen Verhandlungsverlauf und den Beteiligtenvortrag zur Kenntnis zu nehmen. Nicht jede vorübergehende Ermüdung, wie sie bei einer längeren Sitzung vorkommt, hindert den Richter daran, der Verhandlung zu folgen und das Ergebnis geistig zu verarbeiten.
Dementsprechend sind auch konkrete Tatsachen vorzutragen, wenn behauptet wird, der Richter sei aus psychischen oder physischen Gründen nicht in der Lage gewesen, seine Funktion wahrzunehmen. Auch hier genügen bloße Vermutungen nicht. Nicht ausreichend ist jedenfalls vorzutragen, ein Richter sei gestresst, abgelenkt oder unaufmerksam gewesen.
Angesichts der Bedeutung der mündlichen Verhandlung sollte der BFH hier strenger verfahren. Bei eindeutigen Zeichen geistiger Abwesenheit fehlt es an einer sachgerechten Teilnahme am Sitzungsverlauf. Wird geltend gemacht, die ehrenamtlichen Richter seien unvorbereitet bzw. nicht ausreichend informiert gewesen, sind konkret die Gründe darzulegen, wonach keine ausreichende Vorbesprechung stattgefunden hat bzw. weshalb der Sachvortrag in der mündlichen Verhandlung ungenügend war.
Die Besetzungsrüge ist auch noch nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist – aber vor Eintritt der Rechtskraft des Urteils – zulässig. Dies ist aus Gründen der Prozessökonomie geboten. Die vom BFH gegebene Begründung, ansonsten könnte der Verstoß noch im Rahmen eines Wiederaufnahmeverfahrens im Wege der Nichtigkeitsklage geltend gemacht werden, ist allerdings nicht ganz schlüssig, da die Nichtigkeitsklage bei nicht vorschriftsmäßiger Besetzung nur subsidiär eröffnet ist. Sie scheidet aus, wenn die Nichtigkeit mittels ein...