Prof. Dr. Bernhard Schwarz †
Rz. 15
Für die Wiedereinsetzung muss jemand ohne Verschulden an der Einhaltung der Frist gehindert gewesen sein. Das Verschulden bzw. sein Fehlen bezieht sich danach auf das Verhindertsein, also auf das Hindernis. Da das Hindernis wiederum sich unmittelbar auf die Fristversäumung bezieht, wird in der Praxis auch der Gerichte die Frage des Verschuldens meist bei der Fristversäumung selbst geprüft. Diese Prüfung führt wegen der genannten Verknüpfungen zu zutreffenden Ergebnissen.
Rz. 16
Ohne Verschulden sind Hindernis und Fristversäumung, wenn sie weder vorsätzlich noch (leicht oder grob) fahrlässig verursacht oder mitverursacht worden sind. Jedes Verschulden, also auch die einfache Fahrlässigkeit, schließt die Wiedereinsetzung aus. Ohne Verschulden ist ein Hindernis daher nicht, wenn der Stpfl. z. B. Probleme mit der EDV-Anlage und den IT-basierten Telekommunikationseinrichtungen hat. Die Auswirkungen der Probleme insbesondere auf andere Wege zur Fristwahrung müssten konkret und substantiiert vorgetragen und glaubhaft gemacht werden.
Auch ein für die Fristversäumung ursächliches Mitverschulden des Betroffenen schließt die Gewährung einer Wiedereinsetzung aus. Die die Wiedereinsetzung beanspruchende Person ist nämlich nicht "ohne Verschulden" verhindert gewesen. Ein Mitverschulden der Finanzbehörde, ohne das die Fristversäumung nicht eingetreten wäre, bedeutet im Einzelfall meist ein unvermeidliches Hindernis für den Beteiligten und führt deswegen unter deren weiteren Voraussetzungen zur Wiedereinsetzung. Bei Nichtbeachtung einer Rechtsbehelfsbelehrung ist dagegen eine Fristversäumung auch des nicht vertretenen Stpfl. regelmäßig schuldhaft.
In den Fällen des § 126 Abs. 3 AO wird ein Verschulden des Betroffenen gesetzlich ausgeschlossen (§ 126 Abs. 3 S. 1 AO, vgl. auch oben Rz. 14).
Rz. 17
Vorsätzlich handelt, wer bewusst und gewollt eine Frist versäumt. Als Vorsatz kommen der direkte und der bedingte Vorsatz in Betracht. Wer eine Rechtsbehelfsfrist bewusst verstreichen lässt, weil er notwendige Beweismittel nicht ausfindig machen kann, handelt vorsätzlich. Vorsatz ist auch gegeben, wenn jemand auf die nicht rechtmäßige Praxis der Verwaltung vertraut, nach der die bei Dienstbeginn im Briefkasten des Amts vorgefundenen Eingänge den Eingangsstempel des Vortages erhalten. In diesem Fall lässt der an sich zur Fristwahrung unbedingt Entschlossene die Frist vorsätzlich verstreichen, da er den Eintritt der Rechtsfolgen einer Fristversäumung für ausgeschlossen hält. Nicht zu prüfen ist deswegen die Frage, ob er mit dem Vertrauen in die Praxis fahrlässig gehandelt hat. Vorsätzlich handelt auch, wer beim Bestehen eines Hindernisses für die Nutzung des üblichen Wegs für ein fristgerecht anzubringendes Schriftstück die ihm bekannte Möglichkeit eines anderen Wegs bewusst nicht nutzt.
Rz. 18
Für das fahrlässige Verschulden genügt einfache Fahrlässigkeit. Diese kann allerdings nach h. M. im Schrifttum nicht die Anforderung stellen, dass der Betroffene "die äußerste, den Umständen des Falls angemessene und vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt" anwendet oder dass er die für einen gewissenhaften und sachgemäß handelnden Verfahrensbeteiligten gebotene und nach den Umständen zumutbare Sorgfalt beachtet. Fahrlässig verschuldet ist danach das Hindernis, wenn der Betroffene die ihm nach seinen persönlichen Verhältnissen und bei Berücksichtigung der gesamten Umstände im Zusammenhang mit dem Hindernis gebotene Sorgfalt außer Acht gelassen hat. Für sie ist also ein subjektiver Maßstab anzulegen. Nicht die Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt ist das entscheidende Kriterium. Anders als bei der strengen Beachtung beider Seiten bei einem bürgerlich-rechtlichen Schuldverhältnis ist hier eine Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls und der Einzelperson möglich und auch angebracht. Nach Sinn und Zweck der Wiedereinsetzung als einem Korrektiv in der Abgrenzung zwischen den Grundsätzen der Rechtssicherheit und der Gerechtigkeit kann daher nur ein subjektiver Verschuldensbegriff in Betracht kommen, der auch die persönlichen Verhältnisse des physisch oder psychisch gehinderten Betroffenen berücksichtigt. Entscheidend ist also, ob der Betroffene die ihm nach seinen persönlichen Verhältnissen und bei Berücksichtigung der gesamten Umstände im Zusammenhang mit dem Hindernis gebotene Sorgfalt außer acht gelassen hat. Mit diesem subjektiven Maßstab ist allerdings eine große Vielfalt unterschiedlichster Entscheidungen der Gerichte verbunden, da das Verschulden in jedem Fall besonders zu beurteilen ist und Typisierungen nur in einigen Bereichen möglich sind. Insbesondere bei rechtskundigen Vertretern des Stpfl. ist nur dann ein Verschulden ausgeschlossen, wenn der Vertreter auch durch äußerste, den Umständen des Falls angemessene und vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt die Fristversäumung nicht vermeiden konnte. Entsprechende Grundsätze sollen auch für das FA gelten. ...