Prof. Dr. Bernhard Schwarz †
Rz. 79
Aus Gründen der Rechtssicherheit endet die Möglichkeit der Wiedereinsetzung mit Ablauf eines Jahres seit dem Ende der versäumten Frist. Nach Ablauf dieses Jahres kann also auch dann keine Wiedereinsetzung mehr beantragt werden, wenn das Hindernis über das Jahr hinaus bestanden hat. Ist der Antrag vor Ablauf des Jahres gestellt worden oder sind innerhalb des Jahres die versäumte Handlung nachgeholt und die Wiedereinsetzungsvoraussetzungen glaubhaft gemacht, so muss auch nach Ablauf des Jahres Wiedereinsetzung gewährt werden, wenn die Antragsfrist eingehalten worden ist. Voraussetzung ist allerdings, dass die die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen ebenfalls vor Ablauf der Jahresfrist vorgetragen werden. Bei einer Wiedereinsetzung ohne Antrag (§ 110 Abs. 2 S. 4 AO, siehe Rz. 78) reicht es, wenn die die Wiedereinsetzung rechtfertigende Lage innerhalb der Jahresfrist bestand.
Nach Ablauf der Jahresfrist kann Wiedereinsetzung nur noch beantragt werden, wenn dies vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt nicht möglich war. Höhere Gewalt ist ein von außen kommendes, außergewöhnliches Ereignis, das nicht vorhergesehen und daher auch nicht bei Anwendung der äußersten, billigerweise zu erwartenden Sorgfalt vom Betroffenen verhütet werden konnte. Der Begriff der höheren Gewalt ist also enger als "ohne Verschulden". Er entspricht inhaltlich den Naturereignissen oder anderen unabwendbaren Zufällen. Eine Verhinderung wegen höherer Gewalt liegt nicht vor, wenn das nicht rechtzeitige Eingehen der Rechtsbehelfsschrift erst nach über 12 Monaten bekannt geworden ist, dem Rechtsbehelfsführer aber während des Jahrs Zweifel am Eingang des Schriftstücks hätten kommen müssen. Eine Wiedereinsetzung wegen unverschuldeten Hindernissen bei Einhaltung der Jahresfrist ist ausgeschlossen. Dies ist aus der Beschränkung der Ausnahmeregelung in Abs. 3 auf die Fälle höherer Gewalt abzuleiten. Auch aus Billigkeitsgründen kann nach Ablauf der Jahresfrist grundsätzlich keine Nachholung der versäumten Rechtshandlung zugelassen werden. Da aber die Vorschrift des Abs. 3 insgesamt mit seinem absoluten Charakter den Zweck verfolgt, ein unangemessenes Verzögern von Rechtsbehelfsverfahren zu verhindern, ist sie allerdings nicht anwendbar, wenn die Ursache des Überschreitens der Frist von einem Jahr nicht in der Sphäre der Partei liegt, sondern allein der Finanzbehörde zuzurechnen ist.
Auch nach Ablauf der Jahresfrist kann also Wiedereinsetzung noch beantragt werden, wenn dies vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt oder aus allein in der Sphäre der Finanzbehörde liegenden Gründen nicht möglich war. Nur soweit die maßgeblichen, für eine Wiedereinsetzung bedeutsamen Gründen innerhalb der Jahresfrist erkennbar sind, der Wiedereinsetzungsantrag aber aus allein in der Sphäre der Finanzbehörde liegenden Gründen unterbleibt, ist eine weitere Ausnahme von der Jahresfrist anzunehmen.