Rz. 4
Dem Schutz des Beteiligten dient Abs. 3, der bestimmt, dass bei der Heilung der in Abs. 1 Nr. 2 und 3 aufgeführten Mängel des Verwaltungsakts Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, § 110 AO, zu gewähren ist, wenn durch diesen Mangel die rechtzeitige Anfechtung versäumt wurde. Systematisch bedeutet dies, dass das Fehlen des Verschuldens im Rahmen des § 110 AO unwiderleglich vermutet wird.
Bei der Prüfung, ob der Mangel kausal für das Versäumen der Anfechtungsfrist war, ist ein großzügiger Maßstab anzulegen, da der Rechtsschutz der Beteiligten nicht durch Fehler der Verwaltung beeinträchtigt werden darf. An sich hindern die in Abs. 1 Nr. 2 und 3 aufgeführten Mängel die Anfechtung nicht, so dass die Anfechtung im strengen Sinn nicht dadurch unterblieben ist. So hindert etwa eine fehlende Begründung die Anfechtung nicht, wenn dem Verwaltungsakt eine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt war. Bei einer solchen strengen Auslegung wäre Abs. 3 aber unanwendbar. Es genügt daher, dass durch den Verfahrensfehler der Verwaltung die Entscheidung des Betroffenen, ob ein Rechtsbehelf eingelegt werden soll, erschwert wurde. In diesem Sinn kann das Fehlen einer Begründung oder die Nichtgewährung des rechtlichen Gehörs die Anfechtung hindern, wenn sich der Betroffene dadurch nach seinen individuellen Fähigkeiten der Tragweite der Entscheidung der Verwaltung nicht bewusst werden musste.
Daher fehlt z. B. die für die Anwendung des § 126 Abs. 3 AO notwendige Kausalität der unterlassenen Anhörung für die Versäumung der Einspruchsfrist, wenn der Betroffene in dem Steuerbescheid über die Abweichungen von seiner Steuererklärung informiert worden ist; auf Grund dieser Begründung des Steuerbescheids konnte er dann seine Entscheidung über die Anfechtung des Steuerbescheids treffen, ohne dabei von dem Fehlen der vorherigen Anhörung behindert zu werden. Entsprechendes gilt, wenn der Steuerbescheid den Hinweis enthält, dass Änderungen gegenüber der Steuererklärung vorgenommen wurden, auch wenn diese nicht im Einzelnen aufgeführt werden, sowie wenn der Steuerbescheid den Hinweis enthält, dass die Besteuerungsgrundlagen geschätzt worden sind, auch wenn die Schätzungsgrundlagen im Einzelnen nicht aufgeführt sind.
Kausalität der unterbliebenen Anhörung für die Fristversäumung fehlt auch, wenn der Stpfl. den Verwaltungsakt pflichtwidrig gar nicht zur Kenntnis genommen hat (den Brief nicht geöffnet hat); dann ist sein eigenes schuldhaftes Verhalten kausal, nicht aber die unterbliebene Anhörung.
Rz. 5
Die Wiedereinsetzungsfrist beginnt nach § 126 Abs. 3 S. 2 AO mit dem Zeitpunkt, in dem die unterlassene Verfahrenshandlung (Gewährung rechtlichen Gehörs, Begründung) nachgeholt wird. Da dies bei bestandskräftigen Verwaltungsakten in der Praxis nicht geschieht, kann die Bestandskraft nach § 126 Abs. 3 AO regelmäßig bis zum Eintritt der Verjährung durch Wiedereinsetzung durchbrochen werden.
Wird Wiedereinsetzung gewährt, eröffnet sie die uneingeschränkte Anfechtung des Verwaltungsakts, nicht nur der Teile, die durch den Verfahrensfehler beeinträchtigt sind. Ein Einspruch erfasst grundsätzlich den gesamten Regelungsbereich des Verwaltungsakts; im Rahmen des § 126 AO ist insoweit keine Einschränkung enthalten.