Prof. Dr. Gerrit Frotscher
3.4.1 Allgemeines
Rz. 156
Die Kennzeichen nach § 138e Abs. 2 Nr. 4 AO betreffen die Gestaltung von Verrechnungspreisen. Diese sind nach § 90 Abs. 3 AO dokumentationspflichtig. Die Mitteilungspflicht nach § 138e Abs. 2 Nr. 4 AO tritt als selbständige Pflicht neben diese Dokumentationspflicht. Weder wird durch die Mitteilung nach § 138d AO die Dokumentationspflicht erfüllt, noch macht die Dokumentation der Verrechnungspreise nach § 90 Abs. 3 AO die Mitteilung nach § 138d AO überflüssig, wenn die besonderen Merkmale des § 138e Abs. 2 Nr. 4 AO erfüllt sind. Die Vorschrift führt zu einer aus deutscher Sicht wohl unnötigen Mitteilungspflicht, da Verrechnungspreise ohnehin nach § 90 Abs. 3 AO umfassend zu dokumentieren sind und ihre Auswirkungen zusätzlich im Country-by-Country-Reporting nach § 138a AO erfasst werden. Ein Unterschied besteht lediglich darin, dass die Mitteilung nach § 138f Abs. 2 AO zeitnah, nämlich innerhalb von 30 Tagen, zu übermitteln ist.
Rz. 157
Fraglich kann sein, was unter einer "Gestaltung" im Zusammenhang mit Verrechnungspreisen zu verstehen ist. Bei Verrechnungspreisen sind regelmäßig nur zwei Unternehmen beteiligt; diese Preise werden zwischen diesen beiden Unternehmen vereinbart. Das wirft die Frage auf, ob eine solche Vereinbarung von Verrechnungspreisen bereits eine "Gestaltung" ist. Aus dem Kennzeichen der Nr. 4 Buchst. b, das eine Übertragung von bestimmten immateriellen Wirtschaftsgütern als Kennzeichen erfasst, ist zu schließen, dass der Gesetzgeber in der Übertragungsvereinbarung eine "Gestaltung" sieht. Sinngemäß wäre dann jeder Vertrag über Verrechnungspreise eine "Gestaltung", die mitzuteilen ist, wenn die weiteren Voraussetzungen des § 138e Abs. 2 Nr. 4 AO vorliegen.
Im Übrigen zum Begriff der Gestaltung Frotscher, M., in Schwarz/Pahlke, AO/FGO, Kommentierung zu § 138d Abs. 2 AO. Beratungen im Bereich der Verrechnungspreise, die keine Gestaltung sind, begründen keine Mitteilungspflicht. Bloße Benchmarking-Studien sind daher nicht mitteilungspflichtig, wohl aber Konzeptionen, die aufgrund der ermittelten Benchmarks entwickelt werden.
Rz. 158
§ 138e Abs. 2 Nr. 4 AO erfasst in drei Tatbeständen Verrechnungspreisgestaltungen, die zu einem Kennzeichen führen. Verrechnungspreise sind Preise für Lieferungen und Leistungen, die zwischen verbundenen Unternehmen vereinbart werden. Für den Begriff der verbundenen Unternehmen gilt die Definition des § 138e Abs. 3 AO. Zweck der Regelung ist, die betroffenen Finanzverwaltungen über Verlagerung von Gewinnpotential durch die Gestaltung von Verrechnungspreisen in Kenntnis zu setzen. Die Mitteilungspflicht aufgrund dieser auf Verrechnungspreise bezogenen Kennzeichen dürfte in der Praxis überwiegend den Nutzer nach § 138d Abs. 6 AO treffen, nicht einen Intermediär nach § 138d Abs. 1 AO. Die Gestaltung von Verrechnungspreisen muss auf die Besonderheiten des jeweiligen Konzerns Rücksicht nehmen und dürfte sich daher weitgehend der Konzeption, Organisation oder Nutzung durch Intermediäre entziehen.
3.4.2 Safe-Harbour-Regeln
Rz. 159
Der Tatbestand der Nr. 4 Buchst. a) betrifft die Nutzung von sog. Safe-Harbour-Regeln durch Verrechnungspreisgestaltungen. Da die Vorschrift sich nur auf Verrechnungspreise bezieht, sind die Beziehungen zwischen Stammhaus und Betriebsstätte ausgenommen. Verrechnungspreise können nur zwischen verschiedenen Rechtsträgern vereinbart werden. Ein Verweis auf Betriebsstätten fehlt im Gegensatz zu Buchst. b) und c). Die Amtshilferichtlinie v. 25.5.2018, a. a. O., begnügt sich in Anhang IV Teil II E Nr. 1 damit, das Kennzeichen als Nutzung von unilateralen Safe-Harbour-Regeln zu beschreiben. § 138e Abs. 2 Nr. 4 Buchst. a) AO definiert dagegen den Begriff des Safe Harbour, ohne diesen Ausdruck selbst zu verwenden. Zu einem Kennzeichen führt es danach, wenn eine unilaterale Regelung genutzt wird, die einen Nutzer (Stpfl.) von bestimmten Verpflichtungen befreit. Die Safe-Harbour-Regel muss "genutzt", also von den Stpfl., die die Verrechnungspreise vereinbart haben, angewendet werden. Es muss sich um eine unilaterale Regelung handeln, also eine Regelung, die einseitig von einem Staat eingeführt wurde. Regelungen, die durch Richtlinien der EU, aufgrund eines DBA oder eines Berichts der OECD bestehen, sind nicht unilateral und führen daher nicht zu einem Kennzeichen.
Rz. 160
Die unilaterale Regelung kann eine bestimmt definierte Kategorie von Nutzern oder von Geschäftsvorfällen betreffen, muss aber selektiv in dem Sinne sein, dass sie nicht allgemein gilt, sondern bestimmte Unternehmen oder Geschäftszweige von den sonst geltenden Verrechnungspreisregelungen befreit. Rechtsfolge der Regelung muss sein, dass sie den Nutzer von bestimmten Verpflichtungen befreit, die aufgrund der allgemeinen Verrechnungspreisvorschriften des betreffenden Steuerhoheitsgebiets sonst zu erfüllen wären. Dies...