Rz. 82
Als zweites Ermessenskriterium ist die Dauer der Fristüberschreitung anzusehen. Ausgangspunkt ist zunächst der gesetzliche bzw. durch Verwaltungsakt bestimmte Abgabetermin. Aber auch bei den Stpfl., die keine Fristverlängerung beantragt haben, kann als Abgabetermin nur der Zeitpunkt angesehen werden, in dem üblicherweise nur noch mit besonderer Begründung Fristverlängerungen gewährt würden. Es muss hier zugunsten nicht beratener Stpfl. als Beginn der Fristüberschreitung der Zeitpunkt angenommen werden, zu dem auch ein durch einen Angehörigen der steuerberatenden Berufe vertretener Stpfl. ohne besondere Gründe keine allgemeine Fristverlängerung ohne Benennung individueller Gründe mehr für die Abgabe der Steuererklärung erhalten würde.
Rz. 83
Durch das besondere Druckmittel des VZ soll die zeitgerechte Durchführung des Besteuerungsverfahrens gesichert werden. Eine Behinderung des Besteuerungsverfahrens ist bei einer einmaligen kurzen Fristüberschreitung grundsätzlich nicht gegeben, es sei denn, eine schon besonders gewährte Fristverlängerung wird nicht eingehalten. Hat jedoch ein Stpfl. wiederholt Steuererklärungen verspätet abgegeben, so können auch kurzfristige Fristüberschreitungen die VZ-Festsetzung rechtfertigen. Maßgeblich sind die Verhältnisse im Einzelfall.
Rz. 84
Generell wird die Festsetzung eines VZ fragwürdig und damit ermessensfehlerhaft, wenn die Finanzbehörde infolge der eigenen Arbeitsbelastung überhaupt nicht in der Lage ist, das Besteuerungsverfahren zeitnah durchzuführen. Wird z. B. eine Steuererklärung mit einmonatiger Verspätung abgegeben und erfolgt die Steuerfestsetzung erst wesentlich, z. B. sechs Monate, später, so erscheint die Festsetzung eines VZ ungerechtfertigt, da dann ein Kausalzusammenhang zwischen der verspäteten Abgabe und der verzögerten Durchführung der Besteuerung nicht mehr erkennbar ist. Eine Verfahrensbehinderung kann nur dann angenommen werden, wenn der kontinuierliche Arbeitsablauf für die jeweilige Steuerart und den betreffenden Besteuerungszeitraum beeinträchtigt wird. Solange bei dem zuständigen Amtsträger gravierende Arbeitsrückstände bestehen, sodass bei chronologischer Bearbeitung der eingegangenen Steuererklärungen eine zügige Erledigung der Steuerfestsetzung nicht gewährleistet ist, ist die Festsetzung eines VZ ermessensfehlerhaft. Letztlich kann durch die verspätete Abgabe oder die Nichtabgabe der Steuererklärungen eine Verfahrensbehinderung nur dann eintreten, wenn in dem zuständigen Arbeitsgebiet der jeweiligen Finanzbehörde der wesentliche Teil der betreffenden Steuerfestsetzungen abgeschlossen ist. Demgegenüber sieht der BFH v. 10.10.2002, XI R 41/00, BStBl II 2002, 124 die Verfahrensbehinderung als eines der Ermessenskriterien, dessen Bedeutung sich aus der Pflichtwidrigkeit des Verhaltens ergibt. Soweit der präventive Zweck des VZ in den Vordergrund gestellt wird, ist die Arbeitssituation der Finanzbehörde für die VZ-Festsetzung grundsätzlich ohne Bedeutung. Die verspätete Abgabe der Steuererklärung wird hiernach nicht dadurch entschuldbar, dass die Finanzbehörde ihrerseits die Steuerfestsetzung nicht zeitnah nach Eingang der Erklärung durchführt. Der Umstand, dass durch die verspätete Abgabe der Erklärung das laufende Veranlagungsgeschäft ggf. wenig gestört worden ist, kann im Rahmen der Ermessensausübung als eines von mehreren anderen Kriterien angemessen berücksichtigt werden, wobei dieses Merkmal aber nur für das Ausmaß der begangenen Pflichtverletzung von Bedeutung ist und der präventive Charakter des VZ und damit auch seine Bedeutung für das künftige Abgabeverhalten als eigenes Ermessenskriterium davon unberührt bleiben.