Prof. Dr. Gerrit Frotscher
Rz. 209
Das Verfahren über die Billigkeitsmaßnahme ist selbstständig gegenüber dem Steuerfestsetzungsverfahren. Beide Verfahren (Rechtsbehelf gegen die Steuerfestsetzung und Verfahren über die Billigkeitsmaßnahme) können unabhängig voneinander betrieben werden. Da es sich um selbstständige Verfahren handelt, dürfen Aspekte des einen Verfahrens nicht in dem anderen Verfahren berücksichtigt werden. In dem Billigkeitsverfahren darf nicht berücksichtigt werden, dass die Steuerfestsetzung u. U. rechtswidrig ist; dies ist durch Anfechtung des Steuerbescheids geltend zu machen. Bei der Steuerfestsetzung darf andererseits nicht geprüft werden, ob die Steuerfestsetzung unbillig ist. Dies ist dem gesonderten Verfahren über eine Billigkeitsmaßnahme vorbehalten.
Rz. 209a
Rechtsbehelf gegen die Billigkeitsmaßnahme bzw. die Ablehnung einer Billigkeitsmaßnahme ist der Einspruch. Auch in Fällen, in denen die Billigkeitsentscheidung mit der Steuerfestsetzung verbunden wird, handelt es sich um getrennte Rechtsbehelfsverfahren. Vorläufiger Rechtsschutz gegen die Ablehnung der Billigkeitsmaßnahme wird durch einstweilige Anordnung, § 114 FGO, gewährt, deren Voraussetzungen aber regelmäßig nicht vorliegen werden. Aussetzung der Vollziehung, § 361 AO, § 69 FGO ist nicht möglich, da die Ablehnung der Billigkeitsmaßnahme keinen vollziehbaren Inhalt hat.
Rz. 209b
Der Umstand, dass es sich um getrennte Rechtsbehelfsverfahren handelt, hat zur Folge, dass getrennte Rechtsbehelfsbelehrungen zu erteilen sind, wenn die Billigkeitsmaßnahme mit der Steuerfestsetzung verbunden wird. Für den Stpfl. muss aus der Rechtsbehelfsbelehrung klar hervorgehen, dass er Einspruch gegen die Billigkeitsmaßnahmen und gegen die Steuerfestsetzung einlegen kann, dass also zwei Rechtsbehelfe möglich und auch erforderlich sind. Entspricht die Rechtsbehelfsbelehrung diesen Voraussetzungen nicht, beginnen beide Rechtsbehelfsfristen nach § 356 Abs. 2 AO nicht zu laufen.
Rz. 210
Gegen die ablehnende Einspruchsentscheidung ist Klage zu den Finanzgerichten gegeben. Es handelt sich nicht um eine Anfechtungsklage, sondern eine Verpflichtungsklage. Das stattgebende Urteil ergeht daher nicht nach § 100 Abs. 2 FGO (Festsetzung der Steuer durch das Gericht), sondern nach § 101 FGO.
Rz. 211
Das FG darf die beantragte Billigkeitsmaßnahme nicht selbst aussprechen und auch die Behörde regelmäßig nicht verpflichten, die Billigkeitsmaßnahme vorzunehmen. Die Überprüfung der behördlichen Entscheidung ist darauf beschränkt festzustellen, ob sich die behördliche Entscheidung in den Grenzen des Ermessens gehalten hat. Die Entscheidung darf daher regelmäßig nur lauten, dass die Finanzbehörde verpflichtet ist, den Stpfl. unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden. Nur wenn ein Fall der "Ermessensreduzierung auf Null" vorliegt, also jede andere Entscheidung als die der Vornahme der Billigkeitsmaßnahme ermessensfehlerhaft wäre, hat das Gericht eine Verpflichtung zur Vornahme der Billigkeitsmaßnahme auszusprechen. Diese Voraussetzung wird nur in Ausnahmefällen vorliegen.
Rz. 212
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage (also auch der formellen Fragen) durch das Gericht ist grundsätzlich (Ausnahme vgl. Rz. 200) der der letzten Verwaltungsentscheidung, d. h. der Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung. Später auftretende oder bekannt werdende Billigkeitsgründe können nicht im Gerichtsverfahren geltend gemacht werden, sondern sind zum Anlass eines erneuten Billigkeitsantrags zu nehmen.
Rz. 213
Vorläufiger Rechtsschutz gegen eine Ablehnung eines Antrags auf eine Billigkeitsmaßnahme ist nicht die Aussetzung der Vollziehung, § 361 bzw. § 69 FGO, da die Ablehnung keinen vollziehbaren Inhalt hat, sondern die einstweilige Anordnung, § 114 FGO.
Rz. 214 einstweilen frei