Rz. 11

Problematischer ist die Einordnung des Verfahrens der Anmeldung jedoch in den Fällen, in denen ein Steuerabzugsverpflichteter die Anmeldung abzugeben hat.[1] In diesen Fällen ist der Stpfl. nicht Steuerschuldner, sondern Einbehaltungsverpflichteter und, bei Nichterfüllung der Einbehaltungs- und Abführungsverpflichtung, Haftungsschuldner. Das Gesetz nimmt insoweit eine eindeutige Unterscheidung vor. § 45a EStG spricht etwa nur von "Anmeldung" der KapESt, greift also nicht den in § 167 AO verwendeten Begriff "Steueranmeldung" auf. In diesen Fällen wird keine Steuerschuld geltend gemacht, sondern eine Abführungsverpflichtung.

 

Rz. 12

Beides, Einbehaltungsverpflichtung und Haftungsschuld, unterscheidet sich in der Struktur maßgeblich von der Steuerschuld.[2] Für einen Einbehaltungspflichtigen bzw. Haftungsschuldner gelten daher §§ 155ff. AO grundsätzlich nicht, weil gegen sie eben keine Steuer festzusetzen ist. Vgl. § 155 AO Rz. 14. Der Einbehaltungsverpflichtete ist auch nicht zur Abgabe einer Steuererklärung, §§ 149ff. AO, verpflichtet. Damit fällt die Anmeldung bei Steuerabzugsverpflichtung bei strengem Verständnis auch nicht unter die Definition des § 150 Abs. 1 S. 3 AO.

 

Rz. 13

Andererseits ordnen die Steuergesetze an, dass der Einbehaltungsverpflichtete die Steuer "anzumelden" hat.[3] Unmittelbar anzuwenden sind §§ 167, 168 AO auf diese Anmeldungen nicht, da gegen den Einbehaltungsverpflichteten keine Steuer festzusetzen ist, die als Steuerfestsetzung geltende Steueranmeldung also nicht in Betracht kommt. Die Verwendung des Begriffs "Anmeldung" in den genannten Vorschriften lässt aber den Schluss zu, dass das Gesetz die analoge Anwendung der §§ 167, 168 AO auf die Fälle der Steuerabzugspflicht anordnen wollte. Das Gesetz hat mit dieser Wortwahl zu erkennen gegeben, dass das Einbehaltungs- und Abzugsverfahren entsprechend §§ 167, 168 AO ausgestaltet sein soll. Die Wirkung der Anmeldung ist dann, ebenfalls in analoger Anwendung, die Festsetzung der abzuführenden Steuerbeträge, die unter dem Vorbehalt der Nachprüfung steht. Es handelt sich jedoch im strengen Sinn nicht um eine "Steuerfestsetzung", da gegen den Einbehaltungspflichtigen keine Steuer festgesetzt werden kann. Anknüpfungspunkt der Wirkungen (Festsetzung des abzuführenden Betrags, Leistungsgebot, Vollstreckbarkeit) ist wiederum die in der Anmeldung liegende Unterwerfung des Einbehaltungs- und Abführungsverpflichteten. Dies rechtfertigt es, über die Abführungsverpflichtung eine in den Wirkungen der Steuerfestsetzung ähnliche Festsetzung der Abführungsbeträge anzunehmen, die entsprechend § 168 AO unter dem Vorbehalt der Nachprüfung steht. Es handelt sich also um eine Festsetzung eigener Art, die weder Steuerfestsetzung (der Einbehaltungspflichtige schuldet keine Steuer) ist noch Haftungsbescheid (der Einbehaltungspflichtige hat seine Pflichten erfüllt, haftet also nicht), sondern eine Festsetzung, die sich auf die Abführungsverpflichtung bezieht und wie eine Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung zu behandeln ist.

 

Rz. 14

Gibt der Einbehaltungspflichtige keine Anmeldung ab, ist er Haftender. Er hat dann auch keine Unterwerfungserklärung abgegeben, sodass die Festsetzungswirkungen nicht eintreten können. Das Verfahren ist jetzt kein Steuerabzugsverfahren in Analogie zu §§ 167, 168 AO mehr, sondern Haftungsverfahren nach § 191 AO. Beide Verfahren stehen selbstständig nebeneinander und kollidieren nicht. Hat der Stpfl. eine Anmeldung mit einem zu niedrigen Betrag abgegeben, treten hinsichtlich der angemeldeten Beträge die Wirkungen der §§ 167, 168 AO ein. Hinsichtlich des überschießenden Betrags hat ein Haftungsbescheid nach § 191 AO, nicht eine Steuerfestsetzung nach § 155 AO zu ergehen. Der Wortlaut des § 167 AO, der für diese Fälle eine Steuerfestsetzung vorsieht, gilt unmittelbar für Steuerschuldner, nicht für Haftungsschuldner. Ist umgekehrt ein Haftungsbescheid ergangen und erfüllt der Stpfl. nachträglich seine Anmeldungsverpflichtung, ist der Haftungsbescheid nachträglich rechtswidrig geworden, weil der Stpfl. seine Verpflichtungen jetzt erfüllt hat. Der Haftungsbescheid ist damit nach § 130 Abs. 1 AO zurückzunehmen. Das lässt die Festsetzungswirkung der Anmeldung unberührt. Erweist sich der angemeldete Betrag dann als zu niedrig, kann über den überschießenden Betrag wieder ein Haftungsbescheid ergehen.

 

Rz. 15

In dieses in sich widerspruchsfreie System hat der Gesetzgeber durch das Steuerreformgesetz 1990 v. 25.7.1988[4] eingegriffen, indem er formuliert, dass eine Festsetzung der Steuer nach § 155 AO erforderlich sei, wenn der Haftungsschuldner die Steueranmeldung nicht abgibt. Zu den systematischen Problemen, die diese Formulierung mit sich bringt, vgl. Rz. 20.

[1] LSt, KapESt, Steuerabzug nach § 50a EStG, Bauabzugssteuer.
[2] Trzaskalik, StuW 1993, 371, 378.
[4] BGBl I 1988, 1093.

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