1.1 Begriffsbestimmungen (§ 191 Abs. 1 S. 1 AO)
Rz. 1
Es ist zwischen Steuerschuldner und Haftungsschuldner zu unterscheiden. Denn Haftung im Steuerrecht heißt im Unterschied zum Zivilrecht für eine fremde Schuld mit seinem eigenen Vermögen einstehen zu müssen. Schuld bedeutet in diesem Zusammenhang die Leistungspflicht des Steuerschuldners aufgrund des gegen ihn selbst bestehenden Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis i. S. v. § 37 Abs. 1 Alt. 1 AO Die Stellung als Haftungs- und Steuerschuldner schließen sich somit grundsätzlich gegenseitig aus. Wer als Haftender vom Fiskus in Anspruch genommen wird, muss aber nicht nur mit seinem eigenen Vermögen für die Steuerschuld eines anderen einstehen, sondern die entsprechende Leistung auch selbst erbringen.
Rz. 2
Haftung ist somit demgegenüber die Leistungspflicht des Haftungsschuldners für einen gegen einen Dritten bestehenden Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis, d. h. den Primäranspruch. Der Haftungsschuldner hat bei Vorliegen des Haftungstatbestands für die Erfüllung des Primäranspruchs gegen den eigentlichen Leistungspflichtigen einzustehen. Durch die Haftung wird somit die Durchsetzbarkeit des Primäranspruchs gesichert. Erfüllt der Haftungsschuldner seine Pflicht nicht freiwillig, so kann die Finanzbehörde die Vollstreckung betreiben. Der Haftungsanspruch selbst ist wie der Steueranspruch ein Anspruch des Fiskus aus dem Steuerschuldverhältnis. Zu beachten ist allerdings, dass in gewissen Fällen der den Steueranspruch sichernde Haftungsanspruch diesem sogar vorgehen kann. So ist bei der Lohnsteuerhaftung unter den näheren Voraussetzungen des § 42d Abs. 3 S. 4 EStG nur der Arbeitgeber als Haftungsschuldner und nicht der Arbeitnehmer als Steuerschuldner in Anspruch zu nehmen.
Rz. 3
Duldung ist die Pflicht, die Vollstreckung in Vermögensgegenstände zur Befriedigung einer fremden Leistungspflicht zu gestatten. Die Duldung ist wie die steuerliche Haftung inhaltlich eine Einstandspflicht für eine fremde Leistungspflicht, wobei allerdings für den Duldungspflichtigen grundsätzlich keine aktive Leistungspflicht besteht, sondern nur die passive Verpflichtung zur Gestattung der Vollstreckung in bestimmte Vermögensgegenstände und deren Verwertung. D. h. die Duldungspflicht begründet keinen eigenen materiell-rechtlichen Anspruch des Fiskus gegen Dritte, sondern diesem werden nur Einwendungen im Vollstreckungsverfahren weggenommen, die ihm ansonsten aus seiner Rechtsstellung beispielsweise als Eigentümer zugestanden hätten. Die Duldung ist inhaltlich mit der Sachhaftung nach § 76 AO vergleichbar, die sich im Unterschied zur persönlichen Haftung nur auf gegenständlich beschränkte Vermögensteile des Haftungsschuldners bezieht und insofern eine modifizierte Form der Haftung ist . Dies wird in der Zuordnung der Duldungspflichten zu den materiellen Haftungsvorschriften sowie in der Gestaltung der §§ 191, 192 AO deutlich.
Demgegenüber handelt es sich bei § 74 AO um eine Ausfallhaftung und nicht nur eine Duldung. Insofern soll trotz der gegenständlichen Beschränkung der Haftungsbescheid auf Zahlung lauten.
1.2 Geltendmachung der Haftung (§ 191 Abs 1 S. 1 AO)
1.2.1 Rechtsnatur der Haftung
Rz. 4
Die Geltendmachung des materiellen Haftungs- bzw. Duldungsanspruchs durch die Finanzbehörde ist abhängig von dessen Rechtsnatur:
- Wird die Einstandspflicht des Haftenden durch einen Vertrag zwischen ihm und der Finanzbehörde nach § 48 Abs. 2 AO begründet, so entsteht hier ein zivilrechtliches Schuldverhältnis. Aus diesem Rechtsverhältnis erlangt die Finanzbehörde keine öffentlich-rechtlichen Befugnisse, sodass die Geltendmachung des Anspruchs durch die Finanzbehörde nach den Regeln des bürgerlichen Rechts auf dem Zivilrechtsweg erfolgt. Auch ist es nicht möglich, einen Anspruch nach § 823 Abs. 2 BGB durch Haftungsbescheid geltend zu machen, vielmehr ist auch hier der Zivilrechtsweg gegeben.