Rz. 15
Nach § 195 S. 3 AO kann die beauftragte Finanzbehörde im Namen der zuständigen Finanzbehörde die Steuerfestsetzung vornehmen und verbindliche Zusagen i. S. d. §§ 204 bis 207 AO erteilen. Nach Vorstellung des Gesetzgebers soll durch § 195 S. 3 AO die Zulässigkeit der veranlagenden Betriebsprüfung auch für den Fall der Auftragsprüfung gesetzlich abgesichert werden. Aus § 195 S. 3 AO ergibt sich auch die Befugnis zum Abschluss tatsächlicher Verständigungen. Bei der Vornahme der Steuerfestsetzung und der Erteilung verbindlicher Zusagen handelt die beauftragte Finanzbehörde "im Namen" der zuständigen Finanzbehörde. Dieses Vertretungsverhältnis muss in den entsprechenden Verwaltungsakten zum Ausdruck gebracht werden.
Die Befugnisse nach § 195 S. 3 AO stehen der beauftragten Finanzbehörde kraft Gesetzes zu. Einer ausdrücklichen Übertragung durch die beauftragende Finanzbehörde bedarf es insoweit nicht. Die in AEAO zu § 204 Nr. 2 S. 2 getroffene Regelung, dass die beauftragte Finanzbehörde eine verbindliche Zusage nur im Einvernehmen mit der für die Besteuerung zuständigen Finanzbehörde erteilen "kann", hat allein verwaltungsinterne Bedeutung und ist für die Wirksamkeit der Zusage im Außenverhältnis ohne Bedeutung.
Rz. 16
Die Zuständigkeiten für das Einspruchsverfahren werden durch § 195 S. 3 AO nicht berührt, sondern richten sich auch bei Auftragsprüfungen nach den allgemeinen Vorschriften.
Nach § 367 Abs. 1 S. 1 AO entscheidet über den Einspruch grundsätzlich die Finanzbehörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat. Anders verhält es sich nach § 367 Abs. 3 S. 1 AO, wenn sich der Einspruch gegen einen Verwaltungsakt richtet, den eine Behörde aufgrund gesetzlicher Vorschrift für die zuständige Finanzbehörde erlassen hat; in diesem Fall entscheidet die zuständige Finanzbehörde über den Einspruch.
Daher ist die nach § 195 S. 1 AO zuständige Finanzbehörde jedenfalls dann zur Entscheidung über den Einspruch gegen die Prüfungsanordnung berufen, wenn sie den entsprechenden Verwaltungsakt erlassen hat. Für den Fall, dass die Prüfungsanordnung von der beauftragten Finanzbehörde erteilt wurde, sind die Auffassungen hingegen geteilt. In der Literatur wird die Auffassung vertreten, dass die Entscheidungskompetenz auch in dieser Konstellation jedenfalls dann bei der beauftragenden Finanzbehörde liege, wenn mit dem Einspruch die Rechtmäßigkeit des Prüfungsauftrags in Zweifel gezogen werde. Denn insoweit handele es sich um eine Ermessensentscheidung der beauftragenden Finanzbehörde, die sinnvollerweise nur von dieser selbst überprüft werden könne. Demgegenüber vertritt der BFH in nunmehr st. Rspr. die Ansicht, dass die beauftragte Finanzbehörde zur Entscheidung über den Einspruch berufen sei, wenn sie die Prüfungsanordnung erlassen habe. Die Voraussetzungen des § 367 Abs. 3 S. 1 AO lägen nicht vor, weil die beauftragte Finanzbehörde nicht – unmittelbar – aufgrund gesetzlicher Vorschrift, sondern aufgrund des im Einzelfall von der zuständigen Finanzbehörde erteilten Auftrags für diese tätig werde. Dieser Auffassung ist zu folgen. Sie entspricht nicht nur dem Wortlaut des § 367 Abs. 3 S. 1 AO, sondern steht auch in Einklang mit der Auslegung, die – der die Passivlegitimation im Steuerprozess regelnde und nach Wortlaut und Sinn mit § 367 Abs. 3 S. 1 AO übereinstimmende – § 63 Abs. 3 FGO durch die h. M. erfährt.
Die von der Gegenansicht in der Literatur erwogene Möglichkeit, die Entscheidungskompetenz im Einspruchsverfahren davon abhängig zu machen, auf welche Gründe der Rechtsbehelf gestützt wird, dürfte schon deshalb nicht in Betracht kommen, weil die Finanzbehörde, die über den Einspruch entscheidet, die Sache in vollem Umfang erneut zu prüfen hat. Soweit die beauftragte Finanzbehörde die dem Prüfungsauftrag zugrunde liegenden Ermessenserwägungen aus eigenem Kenntnisstand nicht überprüfen kann, muss sie sich die hierfür erforderlichen Informationen durch Rücksprache mit der beauftragenden Finanzbehörde beschaffen.
Die Zuständigkeit für die Entscheidung über Anträge auf Aussetzung der Vollziehung der Prüfungsanordnung entspricht der Zuständigkeit für das Hauptsacheverfahren.
Über den Einspruch gegen Steuerbescheide und verbindliche Zusagen, die die beauftragte Finanzbehörde nach § 195 S. 3 AO erteilt hat, hat hingegen die zuständige Finanzbehörde zu entscheiden, weil die entsprechenden Verwaltungsakte in ihrem Namen ergehen und die darin getroffenen Regelungen daher ihr und nicht der in ihrer Vertretung handelnden Finanzbehörde zuzurechnen sind. Der beauftragten Finanzbehörde dürfte allerdings die Befugnis zur Erteilung von Abhilfebescheiden zuzugestehen sein.