Rz. 17
§ 2 Abs. 2 AO wurde durch das JStG 2010 eingefügt und enthält eine Verordnungsermächtigung für das BMF, zur Umsetzung von Konsultationsvereinbarungen mit Zustimmung des Bundesrats Rechtsverordnungen zu erlassen. Nach Auffassung des Gesetzgebers soll durch die Verordnungsermächtigung künftig eine umfassende Bindungswirkung von Konsultationsvereinbarungen ermöglicht werden. Im Wege einer Rechtsverordnung des BMF soll die innerstaatliche Wirksamkeit einer solchen Vereinbarung nach Maßgabe der verfassungsrechtlichen Vorgaben gewährleistet werden.
Rz. 18
Konsultationsvereinbarungen sind nach der an Art. 25 Abs. 3 S. 1 OECD-MA angelehnten Legaldefinition des § 2 Abs. 2 S. 2 AO einvernehmliche Vereinbarungen der zuständigen Behörden der Vertragsstaaten eines Doppelbesteuerungsabkommens mit dem Ziel, Einzelheiten der Durchführung eines solchen Abkommens zu regeln, insbesondere Schwierigkeiten oder Zweifel, die bei der Auslegung oder Anwendung des jeweiligen Abkommens bestehen, zu beseitigen. Konsultationsvereinbarungen sind abzugrenzen von den in Art. 25 Abs. 1 OECD-MA geregelten Verständigungsverfahren. Das Regelungsziel des § 2 Abs. 2 AO soll eine umfassende Bindungswirkung sein.
Auf der Grundlage des § 2 Abs. 2 AO sind bereits einige Konsultationsvereinbarungsverordnungen ergangen. Das mit § 2 Abs. 2 AO verfolgte Ziel einer umfassenden Bindungswirkung der Konsultationsvereinbarungsverordnungen auch für die Gerichte wird jedoch nicht erreicht, soweit die jeweilige Konsultationsvereinbarung zu einer inhaltlichen Änderung bzw. Ergänzung eines DBA führt. Basis und Grenze der Abkommensauslegung ist der Wortlaut des DBA. Dessen Änderung bzw. Ergänzung kann nicht durch eine rangmäßig unterhalb des Gesetzes stehende Rechtsverordnung bewirkt werden. Insoweit bedarf ebenso wie für das Zustandekommen eines DBA eines förmlichen Zustimmungsgesetzes. Eine dagegen verstoßende Konsultationsvereinbarungsverordnung genügt nicht den Bestimmtheitsanforderungen des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG, verstößt gegen den Gesetzesvorbehalt und ist vom Fachgericht zu verwerfen. Demgemäß ist von den Gerichten stets zu prüfen, ob eine Rechtsverordnung nach § 2 Abs. 2 AO wirksam erlassen worden ist.
Rz. 19
Ferner kann eine durch Verordnung umgesetzte Konsultationsvereinbarung nicht mit Rückwirkung, sondern nur Wirkung für die Zukunft ergehen. Für die Auslegung von DBA ist nach der BFH-Rechtsprechung der statische und nicht der dynamische Auslegungsmodus maßgebend. Insoweit läuft die in Art. 97 § 1 Abs. 9 S. 1 EGAO unter näheren Voraussetzungen zugelassene rückwirkende Anwendung einer Verordnung nach § 2 Abs. 2 AO auf den Veranlagungszeitraum 2010 leer. Problematisch ist die Erstreckung der Verordnungsermächtigung nach § 2 Abs. 2 S. 1 AO auch auf Vereinbarungen zur Vermeidung einer doppelten Nichtbesteuerung. Ausgehend von der Zielsetzung der DBA, die Besteuerungsrechte beider Vertragsstaaten überschneidungsfrei zuzuordnen, kann die Vermeidung einer doppelten Nichtbesteuerung kein eigenständiges Auslegungsziel für DBA sein. Eine abkommensändernde Konsultationsvereinbarungsverordnung zur Vermeidung einer doppelten Nichtbesteuerung ist nicht durch die Verordnungsermächtigung des § 2 Abs. 2 AO gedeckt und daher unwirksam. Hingegen dürften solche Konsultationsvereinbarungsverordnungen wirksam sein, die der Beseitigung der mit einer Abkommensnorm unvereinbaren doppelten Nichtbesteuerung dienen.