Prof. Dr. Bernhard Schwarz †
Rz. 3
Die Einziehung der Steuern ist nicht in das Ermessen der Finanzbehörden gestellt, sondern ihnen zwingend vorgeschrieben. Der Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung (vgl. § 3 Rz. 6–6b) und seine Ausgestaltung in § 85 fordern neben der gleichmäßigen Festsetzung der Steuern auch ihre gleichmäßige Erhebung. Im Einzelfall kann jedoch aus besonderen Gründen die Erhebung der kraft Gesetzes entstandenen Steuerschuld für den betroffenen Steuerschuldner unbillig sein. Das Gesetz gibt hier der Verwaltung durch §§ 163, 227 und 222 Möglichkeiten zur Korrektur der steuerlichen Belastung sowie in § 234 Abs. 2 und § 237 Abs. 4 zur Zinsbelastung des Einzelnen. Hiernach kann einmal die Konkretisierung des gesetzlichen Anspruchs durch die Festsetzung unterbleiben (§ 163), wenn schon in diesem Zeitpunkt zu erkennen ist, dass die Einziehung der Steuer unbillig wäre. Durch das Unterlassen der Festsetzung fehlt dann der Verwaltung die Grundlage für die Erhebung (§ 218 Abs. 1). Stellt sich nach Durchführung der Festsetzung heraus, dass die Einziehung unbillig ist, so kann die bereits konkretisierte Steuerschuld erlassen werden (§ 227). Beide Billigkeitsmaßnahmen führen gemäß § 47 zum Erlöschen des Anspruchs. Ihnen ist somit gemeinsam, dass der Steuergläubiger auf Dauer auf die Erfüllung des gesetzlichen Anspruchs verzichtet. Entsprechendes gilt für den Verzicht auf Stundungszinsen nach § 234 Abs. 2 und auf Aussetzungszinsen nach § 237 Abs. 4. Die Stundung nach § 222 soll demgegenüber nur eine befristete Korrektur der steuerlichen Belastung bewirken. Sie ist anwendbar, wenn die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Steuerschuldners zwar generell besteht, also eine dauernde Maßnahme nicht geboten ist, aber dem Steuerschuldner nicht zugemutet werden kann, gerade zum Fälligkeitszeitpunkt die Zahlung zu leisten. Die Stundung ist also ihrem Charakter nach nur eine vorübergehende steuerliche Entlastung aus Billigkeitsgründen. Demgemäß schließen sich Nichtfestsetzung bzw. Erlass einerseits und Stundung andererseits wegen der unterschiedlichen Zielsetzungen aus. Allerdings kann eine Stundung für die Zeit bis zur Entscheidung über einen Erlassantrag in Betracht kommen.
Entsprechend der verschiedenen Wirkung der endgültigen Billigkeitsmaßnahmen einerseits und der Stundung andererseits ist auch der Ansatzpunkt für die zu beseitigende Unbilligkeit verschieden. Die erhebliche Härte, die § 222 beseitigen will, muss sich auf die Zahlung im Zeitpunkt der Fälligkeit, darf sich jedoch nicht auf die Einziehung überhaupt erstrecken. Umgekehrt fordern §§ 163, 227 und entsprechend auch §§ 234 Abs. 2, 237 Abs. 4 eine Unbilligkeit, die in dem Zahlenmüssen überhaupt begründet liegt (ebenso Kruse, in T/K, AO, § 222 Rz. 22). Wegen des unterschiedlichen Ansatzes von Stundung und Erlass kann die Ablehnung eines Erlassantrags nicht schon deswegen ermessensfehlerhaft sein, weil die Finanzbehörde die Möglichkeit einer Stundung nicht geprüft hat.