Rz. 16

Nach dem mit dem JStG 2022[1] eingefügten S. 3 des § 229 Abs. 1 AO beginnt die Zahlungsverjährung des gesamten Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis bei einer Aufhebung, Änderung oder Berichtigung nach § 129 AO der Festsetzung oder Anmeldung erst mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Aufhebung, Änderung oder Berichtigung wirksam geworden ist. Die Anknüpfung der Zahlungsverjährung nach § 229 Abs. 1 S. 2 AO an den einheitlichen gesamten Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis war zuvor umstritten. Überwiegend wurde vertreten, dass konsequent auf die bloßen einzelnen festgesetzten Beträge auch bei einer Steuerart und gleichem Stpfl. und gleichem Veranlagungszeitraum abzustellen sei, sodass auch bei Steuernachforderungen aufgrund von Bescheidänderungen die Zahlungsverjährung nach § 229 Abs. 1 S. 2 AO nur jeweils insoweit in Gang gesetzt würde, wie die Änderung reicht.[2] Dem begegnete die m. E. zutreffende Auslegung des § 229 Abs. 1 S. 2 AO, die die Zahlungsverjährung der §§ 228ff. AO an den einheitlichen Steuer-, Vergütungs- bzw. Erstattungsanspruch anknüpfte und den Steueranspruch gegen einen Stpfl. aus einer Steuerart und einem Besteuerungszeitraum nur einheitlich der Zahlungsverjährung unterlegte. Schon aus § 229 Abs. 1 S. 2 AO, der eine Anlaufhemmung bei Änderung, Aufhebung oder Berichtigung der Steuerfestsetzung enthält, ergibt sich, dass Zahlungs-, Vergütungs- und Erstattungsansprüche gegen den jeweiligen Stpfl. aus der jeweiligen Steuerart und dem jeweiligen Besteuerungszeitraum nur einheitlich der Zahlungsverjährung unterliegen können. Ist vor der Änderung noch keine Zahlungsverjährung für den Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis eingetreten, ist der Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis auch bei mehrfacher Änderung der Steuerfestsetzung nicht aufzuspalten in einzelne Steuererstattungsansprüche (wenn die Steuer niedriger festgesetzt) und Steueransprüche (wenn sie höher festgesetzt wird). Die Vorschrift ist nur verständlich, wenn auf den Steuer-, Vergütungs- bzw. Steuererstattungsanspruch als Ganzes abgestellt wird. Damit ist eine unterschiedliche Zahlungsverjährung der "aufgespaltenen" Teile des Anspruchs nicht vereinbar.[3]

Dies ist nunmehr durch die (mindestens) klarstellende gesetzliche Regelung in § 229 Abs. 1 S. 3 AO geklärt. Dass die Neuregelung nach Art. 97 § 14 Abs. 6 EGAO nur für alle am 21.12.2022 noch nicht abgelaufenen Verjährungsfristen gilt, ist – folgt man der obigen Auslegung – nicht von Belang.

Zur bisherigen – abweichenden – Auslegung des § 229 Abs. 1 S. 2 AO wurde auch vertreten, dass auch in Änderungsfällen bei zuvor wegen auf nur einen Teil des Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis wirkender Unterbrechungshandlungen des FA nach § 231 AO eingetretene Teilzahlungsverjährung mit der Änderungsfestsetzung die Zahlungsverjährungsfrist nur für den noch nicht verjährten Teil des Anspruchs neu beginnen kann.[4] Diese an die Wirkung des § 231 AO anknüpfende Auffassung ist nach dem eindeutigen Wortlaut des § 229 Abs. 1 S. 3 AO, der auf den gesamten Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis abstellt, überholt. Auch in Fällen, in denen die eigentlich eintretende Zahlungsverjährung nunmehr durch § 230 Abs. 2 S. 1 AO gehemmt wird, weil und soweit vor der Änderungsveranlagung noch keine Festsetzungsverjährung eingetreten ist, führt dies zu keinem anderen Ergebnis.[5]

Führt die Änderung der Steuerfestsetzung zu einer Nachforderung gegenüber der bisherigen Anrechnungsverfügung oder dem bisherigen Abrechnungsbescheid, ist eine neue Anrechnungsverfügung bzw. ein neuer Abrechnungsbescheid zu erlassen. Das hat während des Laufs der neuen Verjährungsfrist zu geschehen.[6]

 

Rz. 17

§ 229 Abs. 1 S. 3 AO gilt einheitlich für alle Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis, für die Aufhebungen, Änderungen oder Berichtigungen nach § 129 AO erfolgen, unabhängig vom Entstehungsgrund des zugrundeliegenden Ausgangsanspruchs.[7] Unabhängig von einer eventuellen Miterfassung in einem einheitlichen Abrechnungsbescheid ist die Wirkung des § 229 Abs. 1 S. 3 AO aber auf den jeweiligen zugrundeliegenden Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis zu beziehen und insoweit auch zu begrenzen.

So ist etwa die Forschungszulage als Steuervergütung ein eigener Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis und nicht Teil des im Ertragsteuerbescheid festgesetzten Anspruchs. Tritt also bei dem auf Einkommen- oder Körperschaftsteuer des betroffenen Veranlagungszeitraums gerichteten Steueranspruch Zahlungsverjährung ein, kann ein geänderter Forschungszulagen- oder Forschungszulagenfeststellungsbescheid die Zahlungsverjährungsfrist dieses anderen Anspruchs über § 229 Abs. 1 S. 3 AO nicht wieder aufleben lassen. Die Regelung des § 229 Abs. 1 S. 3 AO greift nicht, wenn eine Anrechnungsverfügung über einbehaltene oder anzurechnende Abzugssteuer lediglich isoliert korrigiert wird, ohne dass gleichzeitig eine Aufhebung, Änderung oder Berichtigung nach § 129 AO der Steuerfestsetzung oder -anmeldung des bezogenen Anspruchs aus dem Steuerschul...

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