2.1 Höhere Gewalt
Rz. 3
"Höhere Gewalt" ist ein außergewöhnliches Ereignis, das unter den gegebenen Umständen auch durch äußerste, nach der Lage der Sache durch den Betroffenen zu erwartende Sorgfalt nicht verhindert werden kann und das die Geltendmachung des Anspruchs während der Verjährungsfrist sowie die Unterbrechung der Verjährungsfrist nach § 231 AO unmöglich macht. Das geringste eigene Verschulden des Gläubigers schließt höhere Gewalt aus. Dementsprechend muss durch die höhere Gewalt, die die Aufgabenwahrnehmung der Finanzbehörden einschränkt, die Möglichkeit den Ablauf der Zahlungsverjährungsfrist hemmende Maßnahmen zu ergreifen, objektiv unmöglich geworden sein. Ist dies in einer solchen Situation deshalb unterblieben, weil die Finanzbehörde sich für die Wahrnehmung vorrangiger Aufgaben entschieden hat, tritt die Verjährungshemmung nach § 230 AO nicht ein. Der Tatbestand ist nur erfüllt, wenn die verjährungshemmende Maßnahme infolge des Ereignisses der höheren Gewalt unter keinen Umständen hätte vorgenommen werden können.
Rz. 4
Neben dem eigenen Mitverschulden des Gläubigers selbst, muss er sich auch das Mitverschulden seines Vertreters zurechnen lassen.
Rz. 5
Als höhere Gewalt kommen in Betracht Krieg, Naturkatastrophen, Unfall, plötzlich eintretende Krankheit, die jede Vorsorge verhindert, u. U. auch unrichtige Rechtsbelehrung durch die Finanzbehörde. Höhere Gewalt soll im Einzelfall auch in einer verzögerten oder gescheiterten Postbeförderung zu sehen sein können. Dem wird man m. E. aber nur in ganz außergewöhnlichen Sachverhaltskonstellationen folgen können. Zudem wird man auch in diesem Fall ein Mitverschulden desjenigen, der die Postbeförderung in Auftrag gegeben hat, an der verzögerten oder gescheiterten Zustellung ausschließen müssen.
Unkenntnis und unrichtige Rechtsauffassung sind grundsätzlich keine höhere Gewalt, auch nicht, wenn sie auf einem Ereignis beruhen, das höhere Gewalt darstellt. Beruht z. B. die Unkenntnis auf Vernichtung von Unterlagen durch höhere Gewalt, ist die Verjährung nicht gehemmt.
Rz. 6
Die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Stpfl. stellt für sich gesehen keine höhere Gewalt dar. Vielmehr unterbrechen erst Handlungen während des Insolvenzverfahrens nach § 231 Abs. 1 Nr. 4 ff. AO die Zahlungsverjährung. Allerdings wird man die Anfechtung einer erfolgten Steuerzahlung durch den Insolvenzverwalter im Insolvenzverfahren gegenüber dem FA als höhere Gewalt ansehen müssen, da dieses bis zur Rechtskraft des Anfechtungsurteils nicht handlungsfähig ist.
2.2 Wirkung und Dauer der Hemmung
Rz. 7
Die Wirkung der Hemmung im Regelungsbereich des § 230 Abs. 1 AO besteht darin, dass die Zeit, während der innerhalb der letzten sechs Monate höhere Gewalt bestand, bei der Berechnung des Ablaufs der Verjährungsfrist nicht mitgerechnet wird. Der Lauf der Verjährungsfrist verlängert sich also um die Zeit während der letzten 6 Monate des Fristlaufs, in der der Anspruch wegen der höheren Gewalt nicht geltend gemacht werden konnte. Wenn und soweit die höhere Gewalt nach Ablauf des ursprünglichen Verjährungszeitpunkts fortbesteht, wird der infolge der Hemmung unverbrauchte Zeitraum erst von dem Zeitpunkt an der Verjährungsfrist hinzugerechnet, an dem der Hemmungsgrund weggefallen ist.
Nach dem Wegfall der Hemmung läuft dementsprechend die bereits begonnene "alte Zahlungsverjährungsfrist" weiter. Die Hemmung nach § 230 Abs. 1 AO bewirkt damit, anders als die Unterbrechung der Zahlungsverjährungsfrist nach § 231 AO, nur ein Ruhen bzw. einen Stillstand des Fristablaufs.
Rz. 8
Der Auffassung, dass keine Hemmung nach § 230 AO eintritt, wenn die höhere Gewalt vor Ablauf der ursprünglichen Zahlungsverjährungsfrist endet, wird man nicht folgen können. Diese Ansicht würde zu schwer nachvollziehbaren Ergebnissen führen. Endet der die Hemmung begründende Sachverhalt am Tag vor Ablauf der regulären Zahlungsverjährungsfrist, hätte die Finanzverw...