Rz. 141
Daneben kommen, wie jetzt § 233a Abs. 8 S. 4 AO ausdrücklich anordnet, §§ 163 und 227 AO zur Anwendung. Schon zuvor war aber die Anwendbarkeit dieser Vorschriften unbestritten möglich.
Rz. 142
Eine Billigkeitsentscheidung ändert – anders als in § 234 Abs. 2 und § 237 Abs. 4 AO – nichts daran, dass eine Entscheidung nach § 227 AO nur bei Vorliegen eines entsprechenden Grundes in Betracht kommt. Die Erlassentscheidung ist eine Ermessenentscheidung des FA, die gem. § 102 FGO (i. V. m. § 121 FGO) grundsätzlich einer nur eingeschränkten gerichtlichen Nachprüfung unterliegt. Eine gerichtliche Verpflichtung zum Erlass kann nur ausgesprochen werden, wenn der Ermessensspielraum im konkreten Fall derart eingeschränkt ist, dass nur eine Verpflichtung zum Erlass ermessensgerecht ist.
Rz. 143
Die Verzinsung ist grds. nicht vom Verschulden des Stpfl. oder des FA abhängig. Die Verschuldensunabhängigkeit ist bereits ist im Tatbestand des § 233a AO angelegt, sodass die verzögerte Bearbeitung durch das FA grds. keinen sachlichen Billigkeitsgrund i. S. d. § 227 AO bildet. Auch auf ein dem Stpfl. vorwerfbares Verhalten kommt es daher nicht an. Die Einhaltung der Frist von 15 oder 23 Monaten ist stets als angemessen anzusehen und schließt ein Verschulden oder einen Verstoß gegen Treu und Glauben aus.
Rz. 144
Auch Billigkeitsmaßnahmen nach §§ 163, 227 AO sind nicht dazu bestimmt, die Rechtmäßigkeitsprüfung von Steuerfestsetzungsbescheiden und sonstige Rechtsbehelfsverfahren zu unterlaufen. Derartige Einwendungen betreffen die Rechtmäßigkeit der Festsetzung und sind daher vorrangig im Rechtsbehelfsverfahren gegen die Zinsfestsetzung und nicht im Erlassverfahren geltend zu machen. Anderes könnte nur in solchen Ausnahmefällen gelten, in denen Rechtsbehelfe nach § 351 Abs. 2 AO oder § 42 FGO nicht oder nicht in zumutbarer Weise hätten eingelegt werden können.
Diese Rechtsprechungsrichtlinie ist jedenfalls in einzelnen Teilen nicht mehr hinreichend tragfähig. Richtig dürfte zwar sein, dass die Einhaltung der Frist von 15 bzw. 23 Monaten die Geltendmachung von Ersatzansprüchen jeder Art ausschließt. Die innere Rechtfertigung des Zinsanspruchs ist jedoch der Liquiditätsvorteil. Dieser Gesichtspunkt hat allerdings nach Absenkung des Zinssatzes auf 1,8 % deutlich an Gewicht verloren. Gleichwohl sollte ein insgesamt eher großzügiger Maßstab angelegt werden.
Rz. 145
Maßgebend sind nur die Verhältnisse des Zinsschuldners; die Verhältnisse anderer Rechtssubjekte sind unerheblich. Zu bedenken ist ferner, dass § 233a AO typisierend objektive Zins- und Liquiditätsvorteile des Stpfl. und des FA ausgleichen soll. Der Zinsanspruch ist dem Grund und der Höhe nach unabhängig von der konkreten Einzelfallsituation und hängt allein vom Eintritt bestimmter Ereignisse ab. Daher sind die typisierenden Grundannahmen des Gesetzgebers bei der Auslegung der Vorschrift zu beachten; die Berufung des Stpfl. auf besondere Umstände des Einzelfalls rechtfertigt daher i. d. R. noch keinen Erlass aus sachlichen Gründen.
9.2.1 Erlass aus verfassungsrechtlichen Gründen
Rz. 146
Die Frage der hinreichenden Verfassungsmäßigkeit des Zinssatzes (dazu Rz. 3f.) dürfte sich mit der Entscheidung des BVerfG erledigt haben.
9.2.2 Erlass aus sachlichen Gründen
Rz. 147
Ein Erlass aus sachlichen Gründen ist vor allem geboten, wenn die Verzinsung zwar dem Wortlaut entspricht, jedoch nach dem Zweck des zugrunde liegenden Gesetzes nicht mehr zu rechtfertigen ist und dessen Wertungen zuwiderläuft. Dies gilt auch dann, wenn für den Stpfl. nach der konkreten Sachverhaltsgestaltung kein Zinsvorteil entstehen konnte.
Nachzahlungszinsen, die auf einer zulässigen rückwirkenden Gesetzesänderung einer materiellen Rechtsnorm beruhen, sind mangels eines Zinsvorteils vor Inkrafttreten des Gesetzes zu erlassen. Auch bei einem rückwirkenden Wegfall einer Steuerbefreiung und dadurch bedingten späteren Steuerfestsetzung kommt im Wege der verfassungskonformen Auslegung ein anderes Ergebnis in Betracht.
Rz....