4.1 Allgemeines
Rz. 21
Wenn die Erhebung der Zinsen nach Lage des Einzelfalls unbillig wäre, kann gem. § 234 Abs. 2 AO ganz oder teilweise auf die Zinsen verzichtet werden. Diese Regelung ist lex specialis zur Regelung des § 227 AO.
Die Entscheidung über die Billigkeitsmaßnahme ist eine Ermessensentscheidung, die gerichtlich nur in den Grenzen des § 102 FGO gerichtlich nachprüfbar ist. Insoweit gelten die von der Rspr. gesetzten Maßstäbe. Der Verzicht führt zum Erlöschen des Zinsanspruchs. Das schließt allerdings eine Heranziehung der zu § 227 AO gefundenen Auslegungsregeln in entsprechender Anwendung auf die Sondervoraussetzungen des § 234 AO nicht aus. Ein Verzicht ist in entsprechender Anwendung des § 227 Abs. 1 Hs. 2 AO auch nach Zahlung der Zinsen möglich, sodass die Zinsen zu erstatten sind.
Der Zinsverzicht ist nicht erfasst, sodass es insoweit weiterhin des Einspruchs bedarf. Ohnehin sollte die Entscheidung über den Zinsbescheid zurückgestellt werden, wenn gleichzeitig ein Antrag der auf Erlass der Stundungszinsen gestellt wird.
Rz. 22
Die Unbilligkeit einer Stundung kann sich aus den Gesamtumständen der Stundung ergeben. Sie muss sich stets auf das Zahlenmüssen der Stundungszinsen (nicht der Hauptschuld) beziehen. Nicht damit gemeint ist der Fall des verhältnismäßig hohen Verwaltungsaufwands, da sonst die unterschiedliche Ausstattung der einzelnen Finanzbehörden mit technischen Hilfsmitteln über die Zinszahlungspflichten entscheiden würde. Auch die Unbilligkeit, die zur Stundung selbst führt, kann für den Verzicht nicht ausreichen, da in Stundungsfällen gerade eine Zinserhebung als Grundsatz angeordnet ist. Die Umstände jedoch, die zur Stundung führen, können im Einzelfall so gelagert sein, dass die Verzinsung eine besondere, unbillige Härte für den Schuldner darstellt. Aber auch die Regelung der Stundungszinsen selbst kann unbillig sein. Für die unbillige Härte kommen wie bei §§ 222, 227 AO sowohl sachliche (objektive) als auch persönliche (subjektive) Gründe in Betracht.
4.2 Sachliche Billigkeitsgründe
Rz. 23
Sachliche Billigkeitsgründe liegen vor, wenn der Stpfl. zwar den Tatbestand des § 234 AO erfüllt, jedoch die Einziehung der Zinsen dem Zweck der § 234 AO widerspricht oder mit allgemeinen Rechtsgrundsätzen unvereinbar ist. Allein ist der Umstand der vorübergehenden Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung reicht nicht aus.
Rz. 24
Von einer unbilligen Härte kann jedoch ausgegangen werden, weil eine gegenüberstehende Forderung zwar feststellbar, aber noch nicht festgestellt ist. Eine unbillige Härte in der Zinserhebung kann vorliegen, wenn der Zeitpunkt der Feststellung (= Festsetzung) und damit der Aufrechnungsvoraussetzungen allein in der Hand der Finanzbehörde liegt. Hier kann wirtschaftlich keine Schuldnerschaft angenommen werden. Stundet das FA in der Annahme, dass sich bei einer bevorstehenden Veranlagung eine deckende Erstattung ergibt und stellt sich diese Annahme später als falsch heraus, so liegt wegen der Pflicht des FA zur wenigstens überschlägigen Prüfung der Stundungsvoraussetzungen in einem solchen Fall ebenfalls ein Verzicht auf die Zinsen nahe. Eine Verrechnungsstundung kann jedoch ermessensgerecht abgelehnt werden, wenn der zur Verrechnung gestellte Gegenanspruch nicht vom entscheidenden FA zu überprüfen ist und das für den Gegenanspruch zuständige FA den Gegenanspruch bestreitet. Eine vorübergehende Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung des Steuerschuldners reicht allein nicht für einen Verzicht auf Stundungszinsen.
Rz. 25
Die Entscheidung über den Zinsverzicht kann bereits zusammen mit dem Zinsbescheid getroffen werden (Rz. 30). Da dieser schon vor dem Beginn des Zinslaufs ergehen kann und in der Praxis meist mit dem Stundungsverwaltungsakt verbunden wird, kann sich aus späteren Umständen die Rechtfertigung eines Zinsverzichts ergeben. Deswegen ist auch eine isolierte Entscheidung über den Zinsverzicht nach § 234 Abs. 2 AO möglich. Regelmäßig wird sich jedoch empfehlen, zunächst die Entscheidung über die Stundungsbescheid abzuwarten (vgl. Rz. 21).