Prof. Dr. Bernhard Schwarz †
Rz. 41
Einmal verwirkte Säumniszuschläge bleiben bei späterer Veränderung der Schuld — mit Ausnahme der rückwirkenden Aufrechnung, vgl. Rz. 36, 37 — bestehen. Das gilt nach Abs. 1 S. 4 auch, wenn die Festsetzung einer Steuer oder Steuervergütung später aufgehoben, geändert oder nach § 129 berichtigt wird. Mit dieser Regelung ist ein früher jahrelanger Streit in Rspr. und Lit. für die Zukunft abgeschlossen worden. Die materielle Richtigkeit der zu zahlenden und bei Nichtentrichtung mit Säumniszuschlägen versehenen Steuerforderung soll nach dem klar zum Ausdruck gebrachten Willen des Gesetzgebers unberücksichtigt bleiben. Der Säumniszuschlag als Druckmittel eigener Art soll sich allein nach der Situation im Augenblick der Fälligkeit richten. Wenn der Stpfl. dies vermeiden will, kann und muss er dies durch Antrag auf Aussetzung der Vollziehung, Stundung oder Herabsetzung der Vorauszahlungen tun. Verfassungsrechtlich ist diese Regelung unbedenklich. Worauf die Aufhebung oder Änderung verfahrensrechtlich beruht und durch wen (FA, FG) sie getätigt wird, ist für die Anwendung des Abs. 1 S. 4 belanglos. Durch eine entsprechende Ergänzung des Abs. 1 S. 4 hat das Mißbrauchsbekämpfungs- und SteuerbereinigungsG v. 21.12.1993 klargestellt, dass auch die Berichtigung offenbarer Unrichtigkeiten genauso wie die Änderung oder Aufhebung einer Steuerfestsetzung zu behandeln ist. Diese Klarstellung war erforderlich, weil die Berichtigung nach § 129 von der h. M. (vgl. auch § 172 Rz. 14) nicht als Änderung oder Aufhebung des Steuerbescheids angesehen wird, obwohl sich im Ergebnis der Betrag der festgesetzten Steuer ändert.
Rz. 42
BFH v. 24.3.1992, VII R 39/91, BStBl II 1992, 956 sieht allerdings in der Regelung des § 240 Abs. 1 S. 4 eine Ausnahme von einer nach seiner Auffassung grundsätzlich anzunehmenden Akzessorietät der Säumniszuschläge zur Hauptschuld. Er legt die Vorschrift eng aus. Auch deswegen war die gesetzliche Klarstellung zu § 129 notwendig. Abs. 1 S. 4 gilt im Übrigen nach h. M. für alle Fälle der Änderungen und Aufhebungen sowie der Berichtigung offenbarer Unrichtigkeiten. Es macht keinen Unterschied, ob die Änderung, Aufhebung oder Berichtigung durch Verwaltungsakt oder durch gerichtliche Entscheidung bewirkt worden ist. Keine Herabsetzung der Steuerschuld ist bei nachgeholter Anrechnung von Steuerabzugsbeträgen (z. B. LSt) oder Vorauszahlungen gegeben. Diese sind bereits entrichtet. Es bedarf zur Begründung dieses Ergebnisses also nicht der für diesen Fall von BFH v. 24.3.1992, VII R 39/91, BStBl II 1992, 956 herangezogenen Akzessorietät. Abs. 1 S. 4 gilt nur für das Festsetzungsverfahren und ist auch nicht entsprechend auf das Erhebungsverfahren übertragbar.
Rz. 43
Zweifelhaft könnte erscheinen, ob die Festsetzung der Steuer im Rahmen der Veranlagung unter Abs. 1 S. 4 fällt, wenn sie niedriger als die Summe der festgesetzten Vorauszahlungen ausfällt, die nicht voll bezahlt sind. Verfahrensmäßig sind die Festsetzung von Vorauszahlungen und die Veranlagung zwei verschiedene Bereiche, bei denen die abweichende Veranlagung keine Änderung der Vorauszahlungsfestsetzung bedeutet. Obwohl danach Abs. 1 S. 4 nicht anwendbar ist, bleiben die Säumniszuschläge erhalten. In diesem Fall bleibt der Bescheid über die Festsetzung der Vorauszahlungen erhalten, so dass damit auch die Grundlage für die Säumniszuschläge bestehen bleibt.
Die Regelung des Abs. 1 S. 4 zur Durchbrechung der Akzessorietät erfasst nur den Bereich der Festsetzung. Die im Erhebungsbereich z. B. nach § 218 Abs. 2 getroffenen Entscheidungen werden demgegenüber von ihr nicht berührt.