Prof. Dr. Bernhard Schwarz †
Rz. 52
In umfangreicher Rspr. hat der BFH zu wichtigen Einzelbereichen Abgrenzungskriterien für den Billigkeitserlass herausgearbeitet. Danach haben die Finanzbehörden bei der Entscheidung über einen Billigkeitserlass sorgfältig zu prüfen, ob im Einzelfall Säumniszuschläge als — zusätzliches — Druckmittel ihren Sinn verlieren und dem Steuerschuldner unangemessene Nachteile bereiten. Ergibt allerdings die Prüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Schuldners, dass bei Fälligkeit der Steuer eine Erlasssituation gegeben war, so soll nach Auffassung des BFH die Erhebung von Säumniszuschlägen als Druckmittel ihren Sinn verlieren. Das Gleiche soll gelten, wenn im Fall eines Vollstreckungsaufschubs (vgl. Rz. 33) eine Stundungssituation bestand und die auferlegten Zahlungsraten nach der äußersten Grenze der Zahlungsfähigkeit des Stpfl. bemessen worden sind. Auch ohne Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung kann also nach BFH v. 22.6.1990, III R 150/85, BStBl II 1991, 864 ein solcher Billigkeitserlass für die Säumniszuschläge angebracht sein, wenn der Stpfl. mit der Finanzbehörde eine Ratenzahlungsvereinbarung getroffen hat, die sich an der äußersten Grenze hält, da hier die Säumniszuschläge ihren Zweck als Druckmittel verlieren. Dagegen soll eine zeitweilige Zahlungsunfähigkeit regelmäßig nicht den Erlass von Säumniszuschlägen rechtfertigen. Auch gebietet allein der Umstand, dass ein Konkursverwalter fällige USt aus der Verwertung von Sicherungsgut mangels Liquidität der Konkursmasse erst nach der Veräußerung eines Betriebsgrundstücks entrichtet, nicht den Erlass sämtlicher verwirkter Säumniszuschläge. Zur Begründung beruft sich der BFH darauf, dass der Säumniszuschlag neben dem Druckmittelcharakter auch die Funktion habe, Gegenleistung für die verspätete Zahlung fälliger Steuern und Aufwendungsersatz für die Verwaltung zu sein.
Rz. 53
Säumniszuschläge sind aus sachlichen Billigkeitsgründen zu erlassen, wenn der Schuldner zahlungsunfähig und überschuldet ist. Hier würde der Charakter des Säumniszuschlags als Druckmittel missachtet, wenn ein Erlass unterbliebe. Allerdings soll der Tatbestand der Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit nicht bereits alleine den vollständigen Erlass von Säumniszuschlägen wegen schlichter Unbilligkeit rechtfertigen. Überschuldung ist abweichend vom insolvenzrechtlichen Begriff dann gegeben, wenn das Aktivvermögen des Schuldners seine Passiven nicht mehr deckt. Zahlungsunfähigkeit ist das auf einem Mangel an Zahlungsmitteln beruhende, nicht nur vorübergehende, sondern dauernde Unvermögen des Schuldners, seine kurzfristigen Geldschulden im Wesentlichen zu begleichen. Keine Zahlungsunfähigkeit ist anzunehmen, wenn der Vollstreckungsschuldner erhebliche Beträge für eine Lebensversicherung einzahlt, um von der Versicherungsgesellschaft ein Darlehen für die Tilgung der Steuerschulden zu erhalten.
Rz. 54
Der Erlass ist auch dann zu gewähren, wenn Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung zur Eröffnung eines Konkurs- oder Insolvenzverfahrens geführt haben. Dies gilt allerdings nicht, wenn der Konkurs- oder Insolvenzverwalter fällige Steuern, die aus der Masse zu berichtigen sind, nicht oder nicht rechtzeitig zahlt. Im Übrigen besteht während des Konkurs- oder Insolvenzverfahrens für ein Druckmittel kein Einsatzzweck. Die Tatsache, dass der Verzicht auf Säumniszuschläge in diesen Fällen letztlich den anderen Gläubigern zugute kommt, ändert hieran nichts, zumal es sich um eine Maßnahme aus sachlichen Billigkeitsgründen handelt. Im Insolvenzverfahren ab 1.1.1999 könnte sich u. U. eine Änderung ergeben, da die Zielsetzung sich auf die Erhaltung der Not leidend werdenden Unternehmen richtet. Abweichend von den Verzichtsmöglichkeiten für Säumniszuschläge, die vor Konkurseröffnung fällig gewordene Steuern betreffen, bleiben verwirkte Säumniszuschläge unberührt, wenn der Konkursverwalter nach Konkurseröffnung entstehende und fällig werdende USt aus der Verwertung von Sicherungsgut erst später entrichtet.
Rz. 55
Ob bei Zahlungsunfähigkeit auch noch eine Überschuldung erforderlich ist, erscheint zweifelhaft. Auch bei bloßer Zahlungsunfähigkeit ohne Überschuldung kann der Druckmittelcharakter des Säumniszuschlags deplatziert sein. Die Überschuldung kann allerdings im Fall des Ausbleibens der Zahlungen auf Zahlungsunfähigkeit schließen lassen. Hat die Zahlungsunfähigkeit nicht bereits bei Fälligkeit des Anspruchs bestanden, sondern ist erst später während des Säumniszeitraums eingetreten, so besteht nur für die danach verwirkten Säumniszuschläge ein Erlassgrund.
Kein Fall einer solchen Zahlungsunfähigkeit ist gegeben, wenn der Steuerschuldner nicht in der Lage ist, alle Verpflichtungen bei Fälligkeit zu erfüllen, sondern nur einen Teil von ihnen. Die Zahlungsunfähigkeit ist vom Schuldner glaubhaft zu machen. Dennoch gilt auch im Erlassverfahren der Untersuchungsgrundsatz (§ 88) und erfordert daher eine eingehende Ermittlung durch die Finanzbehörde, insbeso...