Rz. 12
Wie sich aus der Verwendung des Worts "kann" in § 328 Abs. 1 S. 1 AO ergibt, liegt die Anwendung von Zwangsmitteln bei Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen im pflichtgemäßen Ermessen der Finanzbehörde. Diese hat darüber zu entscheiden, ob sie das Zwangsmittelverfahren überhaupt durchführen will (Handlungsermessen) und gegen welche von verschiedenen in Betracht kommenden Personen und mit welchen Mitteln sie vorgehen will (Auswahlermessen). Das Entschließungsermessen ist auf jeder Stufe des Zwangsmittelverfahrens auszuüben. Dagegen wird das Auswahlermessen auf der Stufe der Androhung durch die Anordnungsverfügung und auf der Stufe der Festsetzung sowie des Vollzugs durch die Androhungsverfügung eingeschränkt.
Die Ausübung des Ermessens ist zu begründen, um die Überprüfung der Entscheidung auf Ermessensfehler i. S. d. § 102 FGO zu ermöglichen. Fehlende Ausübung oder Begründung des Ermessens stellen einen Ermessensfehler in Form der Ermessensunterschreitung dar, der die Rechtswidrigkeit des Zwangsmittels zur Folge hat.
Rz. 13
Im Rahmen ihres Handlungsermessens hat die Finanzbehörde abzuwägen, ob die Anwendung von Zwangsmitteln überhaupt Aussicht auf Erfolg verspricht, ob die durchzusetzende Anordnung so gewichtig ist, dass sie die Anwendung von Zwangsmitteln rechtfertigt, und ob andere, weniger einschneidende und verwaltungsaufwendige Maßnahmen zum selben Ziel führen. Im Einzelfall kann auch die nachträglich erkannte Rechtswidrigkeit des zu vollstreckenden Verwaltungsakts dazu Anlass geben, von der Durchführung eines Zwangsmittelverfahrens abzusehen.
Unter dem Gesichtspunkt der fehlenden Erfolgsaussicht ist allerdings nur die die Durchführung eines von vornherein eindeutig aussichtslosen Zwangsmittelverfahrens ermessensfehlerhaft. Die Massearmut hebt die Steuererklärungspflicht des Insolvenzverwalters nicht auf und steht demgemäß der Anwendung von Zwangsmitteln nicht entgegen. Dies gilt auch für die vermögenslose Körperschaft.
Rz. 14
Da die Anwendung von Zwangsmitteln nur gegenüber dem Adressaten des zu vollstreckenden Verwaltungsakts möglich ist, steht der Finanzbehörde ein Auswahlermessen hinsichtlich der Person des Pflichtigen nur in den Fällen zu, in denen ein und dieselbe zu erzwingende Verpflichtung gegenüber mehreren Personen durch Verwaltungsakt konkretisiert wurde. Ist dies geschehen, ist eine nähere Begründung der Ermessensausübung insbesondere dann geboten, wenn die Finanzbehörde Zwangsmittel nur gegenüber einzelnen Pflichtigen anwenden will.
Rz. 15
Das Auswahlermessen hinsichtlich des Zwangsmittels wird zum einen durch den in § 328 Abs. 2 AO konkretisierten Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eingeschränkt. Danach ist dasjenige Zwangsmittel zu bestimmen, durch das der Pflichtige und die Allgemeinheit am wenigsten beeinträchtigt werden. Außerdem muss das Zwangsmittel in einem angemessenen Verhältnis zu seinem Zweck stehen.
Zum anderen ergibt sich eine Einschränkung des Auswahlermessens aus den besonderen Vorschriften über einzelne Zwangsmittel. Die Ersatzvornahme nach § 330 AO ist nur bei vertretbaren Handlungen möglich, sodass ihre Anwendung zur Erzwingung von unvertretbaren Handlungen oder zur Durchsetzung von Duldungs- und Unterlassungspflichten ausgeschlossen ist. Unmittelbarer Zwang darf nach § 331 AO nur dann angewendet werden, wenn das Zwangsgeld oder die Ersatzvornahme nicht zum Ziel führen oder untunlich sind.
Bei der Durchsetzung vertretbarer Handlungen, bei der alle drei Zwangsmittel in Betracht kommen, wird i. d. R. die Zwangsgeldfestsetzung als mildestes Mittel auszuwählen sein, weil die Ersatzvornahme häufig mit erheblichen Kosten verbunden und die Anwendung unmittelbaren Zwangs ohnehin nur als letztes Mittel zulässig ist. Bei der Erzwingung von unvertretbaren Handlungen und bei der Durchsetzung von Duldungs- und Unterlassungspflichten geht das Zwangsgeld regelmäßig dem unmittelbaren Zwang vor.
Dementsprechend ist das Zwangsgeld das in der Praxis am häufigsten angewendete Zwangsmittel. Die Vollstreckung des Zwangsgeldanspruchs richtet sich nicht nach den §§ 328ff. AO, sondern nach den Vorschriften über die Vollstreckung wegen Geldforderungen.
Im Fall der Uneinbringlichkeit des Zwangsgelds besteht unter den weiteren Voraussetzungen des § 334 AO die Möglichkeit der Anordnung von Ersatzzwangshaft durch das Amtsgericht. Da die Anordnung von Haft für den Pflichtigen die am stärksten einschneidende Maßnahme ist, kommt sie regelmäßig erst nach Ausschöpfung aller anderen Möglichkeiten in Betracht.