Rz. 9

Die Einschränkung des § 351 Abs. 1 AO greift nur ein, wenn der Erstbescheid[1] formell bestandskräftig ist, d. h. nicht mehr mit einem zulässigen Einspruch angegriffen werden kann[2], und demgemäß eine erneute Sachentscheidung über den Regelungsinhalt des Erstbescheids ausgeschlossen ist. Hierbei ist es unerheblich, ob der Regelungsinhalt des bestandskräftigen Erstbescheids materiell fehlerhaft ist oder nicht.[3]

 

Rz. 9a

Der Erstbescheid kann bei mehrfacher Änderung selbst ein Änderungsbescheid sein. Unerheblich ist auch, ob die frühere Änderung zugunsten oder zuungunsten erfolgt ist.[4] Für den Umfang des Änderungsrahmens ist auf den letzten unanfechtbaren Verwaltungsakt abzustellen.[5]

 

Rz. 9b

Die Unanfechtbarkeit kann sich durch den Ablauf der Einspruchsfrist nach § 355 AO, durch Einspruchsverzicht nach § 354 AO, durch Rücknahme des Einspruchs nach Ablauf der Einspruchsfrist oder eine abschließende Einspruchsentscheidung nach den §§ 366, 367 AO bzw. durch den Ablauf der Klagefrist[6], durch Zurücknahme der Klage[7] oder abschließende gerichtliche Entscheidung ergeben.[8] Unter diesem Gesichtspunkt ist also zu prüfen[9], ob gegen den Erstbescheid wirksam Einspruch eingelegt worden ist.[10] Bei einem zulässigen Einspruch und einer zulässigen Klage tritt der Änderungsbescheid gem. § 365 Abs. 3 AO bzw. § 68 FGO in das Verfahren ein.[11] § 351 Abs. 1 AO findet keine Anwendung.

 

Rz. 10

Ist die Änderung dagegen erfolgt, bevor der Erstbescheid bestandskräftig geworden ist, so kann der Änderungsbescheid in vollem Umfang angefochten werden.[12] Maßgeblich für die Einschränkung des § 351 Abs. 1 AO ist allein, dass die Bekanntgabe des Änderungsbescheids nach § 124 Abs. 1 AO vor Eintritt der Bestandskraft des Erstbescheids erfolgt ist. Unerheblich ist, dass im Zeitpunkt der Einspruchseinlegung nach § 357 AO gegen den Änderungsbescheid der Erstbescheid unanfechtbar geworden ist.[13] Faktisch verlängert sich durch die Änderung des Erstbescheids vor Eintritt der Bestandskraft für den Stpfl. die Einspruchsfrist um die für den Änderungsbescheid geltende Einspruchsfrist nach § 355 AO. Bei der Anfechtung des Änderungsbescheids können damit sämtliche Einwendungen auch gegen den noch nicht bestandskräftigen Erstbescheid geltend gemacht werden.[14]

[1] S. Rz. 6.
[2] S. Vor §§ 172–177 AO Rz. 8.
[3] Seer, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 351 AO Rz. 10.
[9] S. Rz. 5b.
[11] S. § 365 AO Rz. 12b; s. Dumke, in Schwarz/Pahlke, AO/FGO, § 42 FGO Rz. 33.
[13] BFH v. 10.7.1980, IV R 11/78, BStBl II 1981, 5; FG Nürnberg v. 27.9.2007, VI 436/2005, EFG 2008, 352; FG München v. 16.4.2010, 13 K 2939/08, EFG 2010, 1574; Seer, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 351 AO Rz. 12; Bartone, in Beermann/Gosch, AO, § 351 AO Rz. 8; Siegers, in HHSp, AO/FGO, § 351 AO Rz. 57; a. A. Hardtke, in Kühn/v. Wedelstädt, AO/FGO, 21. Aufl. 2015, § 351 AO Rz. 5.
[14] S. auch Rz. 7.

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