Rz. 114
Nach § 354 Abs. 2 S. 2 AO gilt für die Geltendmachung der Unwirksamkeit des Einspruchsverzichts § 110 Abs. 3 AO sinngemäß. § 110 Abs. 3 AO bestimmt für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, dass diese nach einem Jahr seit dem Ende der versäumten Frist nicht mehr beantragt oder die versäumte Handlung nicht mehr nachgeholt werden kann, außer wenn dies vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war. Dementsprechend kann die Unwirksamkeit des Einspruchsverzichts regelmäßig innerhalb eines Jahres geltend gemacht werden. Streitig ist dabei allerdings, wann die Jahresfrist zu laufen beginnt. Zum Teil wird die Auffassung vertreten, es sei auf den Zeitpunkt der Verzichtserklärung abzustellen, da in diesem die Bestandskraft des Verwaltungsakts eintrete. Die überwiegende Auffassung stellt dagegen zutreffend auf den Ablauf der einmonatigen Einspruchsfrist ab, binnen derer die Unwirksamkeit des Einspruchsverzichts eigentlich geltend zu machen gewesen wäre und die somit die "versäumte Frist" darstellt. Hinzu kommt, dass die Bestandskraft des Verwaltungsakts im Falle eines unwirksamen Einspruchsverzichts nicht – wie von der Gegenauffassung angenommen – schon mit der Erklärung des Verzichts, sondern wegen der Unwirksamkeit des Verzichts erst mit dem Ablauf der Einspruchsfrist eintritt. Die Unwirksamkeit des Einspruchsverzichts kann somit längstens binnen eines Jahres nach Ablauf der regulären Einspruchsfrist geltend gemacht werden.
Wurde in dem Verwaltungsakt eine Rechtsbehelfsbelehrung unrichtig erteilt oder ist sie unterblieben, beginnt die Jahresfrist des § 110 Abs. 3 AO m. E. nicht erst mit Ablauf der verlängerten Einspruchsfrist. Beide Jahresfristen verfolgen letztlich den gleichen Zweck, den Rechtsschutz des Stpfl. bei einer durch die Finanzbehörde (mit-) verursachten Fristversäumnis sicherzustellen. Für eine Kumulation beider Fristverlängerungen besteht kein Anlass.
Rz. 115
Die Jahresfrist verlängert sich, wenn die Geltendmachung der Unwirksamkeit des Einspruchsverzichts wegen höherer Gewalt unmöglich gewesen ist. Höhere Gewalt ist ein von außen kommendes, außergewöhnliches Ereignis, das nicht vorhergesehen und daher auch bei Anwendung der äußersten, billigerweise zu erwartenden Sorgfalt vom Betroffenen nicht verhütet werden konnte (z. B. Krieg, Stillstand der Rechtspflege, Naturereignisse). In diesem Fall ist die Unwirksamkeit des Verzichts durch Einspruchseinlegung – entsprechend § 110 Abs. 2 AO – innerhalb eines Monats nach dem Wegfall des Hindernisses durch die höhere Gewalt geltend und das Vorliegen der höheren Gewalt glaubhaft zu machen.