4.5.1 Allgemeines
Rz. 71
§ 367 Abs. 2b AO ermöglicht es der Finanzbehörde, anhängige Einspruchsverfahren statt durch eine förmliche Einspruchsentscheidung im Einzelfall durch eine Allgemeinverfügung zurückzuweisen. Durch diese Regelung soll der große Verwaltungsaufwand beim Abschluss von Masseneinspruchsverfahren reduziert werden.
4.5.2 Voraussetzungen
Rz. 72
Der Abschluss durch eine Allgemeinverfügung setzt zunächst ein anhängiges und zulässiges Einspruchsverfahren voraus. Dieses Einspruchsverfahren muss gemäß § 367 Abs. 2b S. 1 AO als Streitpunkt eine Rechtsfrage betreffen, die in einem Musterprozess vom EuGH, BVerfG oder BFH, einschließlich des Großen Senats, entschieden worden ist. Insoweit war für das anhängige Einspruchsverfahren Zwangsruhe gemäß § 363 Abs. 2 S. 2 AO eingetreten.
Die Sonderregelung für den Abschluss von Einspruchsverfahren durch Allgemeinverfügung besteht nicht für Musterentscheidungen durch andere Gerichte.
Rz. 73
Diese Sonderregelung für den Abschluss von Einspruchsverfahren durch Allgemeinverfügung greift nur hinsichtlich dieser im Musterprozess entschiedenen Rechtsfrage ein. "Insoweit" ersetzt nach § 367 Abs. 2b S. 1 AO die Allgemeinverfügung die Einzelentscheidung. Sind in dem Einspruchsverfahren noch andere Streitpunkte offen, so entspricht die Allgemeinverfügung einer Teileinspruchsentscheidung nach § 367 Abs. 2a AO. Das Einspruchsverfahren ist auch nach der Bekanntgabe der Allgemeinverfügung noch anhängig, auch wenn der Einspruchsführer im Übrigen keine Einwendungen erhoben hat. Die Finanzbehörde muss das restliche Einspruchsverfahren durch eine individuelle förmliche Einspruchsentscheidung bzw. durch einen gesonderten Abhilfebescheid abschließen, wobei dies auch eine Teileinspruchsentscheidung sein kann, wenn das Einspruchsverfahren noch wegen anderer Streitpunkte teilweise ruht.
Rz. 74
Der Regelungsinhalt der Musterentscheidung muss nach § 367 Abs. 2a S. 1 AO zur Folge haben, dass der Einspruch insoweit als unbegründet zurückzuweisen wäre, ihm also nicht abgeholfen werden kann. Ein anderer Ausgang des Musterverfahrens kann nur durch eine individuelle Entscheidung umgesetzt werden.
4.5.3 Rechtswirkung der Allgemeinverfügung
Rz. 75
Die Allgemeinverfügung gilt nach § 367 Abs. 2b S. 1 AO als Zurückweisung des Einspruchs als unbegründet. Sie ist demgemäß ein gegen den jeweiligen Einspruchsführer gerichteter Verwaltungsakt. Dieser kann jetzt in seiner Sache ggf. diese Entscheidung wie eine normale Einspruchsentscheidung mit der Klage angreifen.
Rz. 76
Die Allgemeinverfügung ist wirkungslos, wenn die örtlich zuständige Finanzbehörde vor der Bekanntgabe der Allgemeinverfügung eine individuelle förmliche Einspruchsentscheidung oder Teileinspruchsentscheidung erlassen hat, denn damit ist das jeweilige Einspruchsverfahren bereits abgeschlossen.
Rz. 77
Hat die oberste Finanzbehörde eine Allgemeinverfügung erlassen, so ist insoweit eine Entscheidung der örtlich zuständigen Finanzbehörde unzulässig, da das frühere Einspruchsverfahren abgeschlossen ist.
4.5.4 Besonderheiten des Verfahrens
4.5.4.1 Allgemeines
Rz. 78
Für das weitere Rechtsschutzverfahren gelten die allgemeinen Regelungen, sofern nicht in § 367 Abs. 2b S. 2–6 AO spezielle Regelungen getroffen sind.
4.5.4.2 Zuständigkeit
Rz. 79
Nach § 367 Abs. 2b S. 2 AO ist für den Erlass der Allgemeinverfügung sachlich zuständig die oberste Finanzbehörde. Diese bestimmt sich nach §§ 1, 2 FVG. Für Steuern, für deren Verwaltung die Landesfinanzbehörden zuständig sind, ist dies die oberste Landesfinanzbehörde, für Steuern, die von der Bundesfinanzverwaltung verwaltet werden, ist dies das BMF. Diese Regelung erfordert also etwas Koordinierung der obersten Landesfinanzbehörden, wenn die im Musterprozess entschiedene Rechtsfrage Steuern betrifft, die bundesweite Bedeutung haben.
Rz. 80
Der Erlass einer Allgemeinverfügung liegt im Ermessen der obersten Finanzbehörden hinsichtlich der Gestaltung des Verfahrensablaufs. Eine Allgemeinverfügung ist wohl nur ermessensgerecht, wenn eine große Zahl von Einspruchsverfahren vorliegt, damit im Massenverfahren eine deutliche Arbeitsentlastung erreicht werden kann. Dies ist faktisch aber durch das FG nicht überprüfbar, wenn die Allgemeinverfügung erlassen worden ist, denn insoweit wird der gerichtliche Rechtsschutz zugunsten des Einspruchsführers eröffnet. Die Stpfl., aber auch die nachgeordneten Finanzbehörden, haben keinen Anspruch auf ein bestimmtes Verhalten der obersten Landesfinanzbehörden.
Die obersten Finanzbehörden der Länder können unterschiedlich agieren, obgleich eine Koordinierung für die Rechtssicherheit förderlich wäre.