Rz. 94

Der Erstattungsanspruch entsteht, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Erstattungspflicht knüpft[1], d. h. zu dem Zeitpunkt, zu dem die Zahlung bzw. Rückzahlung ohne rechtlichen Grund bewirkt worden ist oder zu dem der rechtliche Grund für die Zahlung oder Rückzahlung später wegfällt.[2] Maßgeblich für den Entstehungszeitpunkt des Erstattungsanspruchs ist allein das materielle Recht. Lediglich die Verwirklichung des Anspruchs hängt davon ab, dass entgegenstehende Festsetzungen noch geändert werden können und tatsächlich geändert werden.[3]

 

Rz. 95

Von der steuerrechtlichen Entstehung ist die insolvenzrechtliche Begründung des Erstattungsanspruchs i. S. v. § 38 InsO zu unterscheiden. Der Zeitpunkt der insolvenzrechtlichen Begründung ist u. a. dafür entscheidend, ob das FA nach § 95 InsO mit eigenen Insolvenzforderungen gegen den Erstattungsanspruch des Stpfl. aufrechnen kann. Dies ist nach § 96 Abs. 1 S. 1 InsO ausgeschlossen, wenn der Erstattungsanspruch erst nach Insolvenzeröffnung entstanden und das FA ihn damit erst nach diesem Zeitpunkt zur Masse schuldig geworden ist.

Der VII. Senat des BFH hatte ursprünglich die Auffassung vertreten, dass es für die Begründung des Erstattungsanspruchs im insolvenzrechtlichen Sinne ausreiche, wenn die Forderung "ihrem Kern nach" bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet sei. Dies sollte der Fall sein, wenn der Sachverhalt, der zu der Entstehung des steuerlichen Anspruchs geführt habe, vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens verwirklicht worden sei. So liege es in der Regel, wenn eine Steuer, die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sei, zu erstatten oder zu vergüten oder in anderer Weise dem Stpfl. wieder gutzubringen sei.[4] Inzwischen hat er sich jedoch der Rspr. des für das Umsatzsteuerrecht zuständigen V. Senat des BFH[5] angeschlossen, dass sich die "Begründung" steuerlicher Forderungen und damit die Abgrenzung zwischen Masseverbindlichkeiten und Insolvenzforderungen danach bestimme, ob der den Anspruch begründende Tatbestand nach den steuerrechtlichen Vorschriften bereits vor oder erst nach Insolvenzeröffnung "vollständig verwirklicht und damit abgeschlossen" sei.[6]

 

Rz. 96

Hiernach entsteht ein Erstattungsanspruch aufgrund der Berichtigung der Bemessungsgrundlage gem. § 17 Abs. 2 UStG nicht bereits mit der Begründung der zu berichtigenden Steuerforderung, sondern erst dann, wenn der materiell-rechtliche Berichtigungstatbestand des § 17 Abs. 2 UStG verwirklicht wird, d. h. die in dieser Vorschrift aufgeführten Tatbestandsvoraussetzungen eintreten.[7] Die Aufrechnung des FA gegen USt-Erstattungsansprüche aufgrund von Rechnungsberichtigungen während des Insolvenzverfahrens mit Steuerforderungen aus der Zeit davor ist daher unzulässig.[8] Im Fall einer Steuerberichtigung nach § 14c Abs. 2 UStG ist entscheidend, wann die Gefährdung des Steueraufkommens beseitigt worden ist; die Steuerberichtigung wirkt insolvenzrechtlich nicht auf den Zeitpunkt der Rechnungsausstellung zurück.[9] Auch der Anspruch auf Erstattung der Grunderwerbsteuer nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG für einen vor Insolvenzeröffnung geschlossenen Kaufvertrag entsteht im Fall der Ablehnung der Erfüllung gem. § 103 Abs. 2 InsO erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens i. S. d. § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO.[10]

 

Rz. 97

Demgegenüber entsteht ein Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO aufgrund zu hoher bzw. nicht geschuldeter Vorauszahlungen bereits im Zeitpunkt der Entrichtung der jeweiligen Vorauszahlung unter der aufschiebenden Bedingung, dass am Ende des Besteuerungszeitraums die geschuldete Steuer geringer ist als die Vorauszahlungen.[11] Dementsprechend wird der Rechtsgrund für eine Erstattung von ESt (auch) im insolvenzrechtlichen Sinne bereits mit der Leistung der entsprechenden Vorauszahlungen gelegt.[12] Erst recht muss dies für solche Vorauszahlungen gelten, die von vornherein ohne (materiellen) Rechtsgrund geleistet worden sind, weil in diesem Fall der Erstattungsanspruch noch nicht einmal unter einer aufschiebenden Bedingung entsteht.[13]

 

Rz. 98

Die Fälligkeit des Erstattungsanspruchs nach § 37 Abs. 2 AO richtet sich nach § 220 AO. In Fällen, in denen der zu erstattenden Zahlung keine (wirksame) Festsetzung zugrunde lag, wird der Erstattungsanspruch nach § 220 Abs. 2 S. 1 AO mit seiner Entstehung fällig.[14] Dies gilt unabhängig davon, ob der Stpfl. die Nichtigkeit des seiner Zahlung zugrunde liegenden Steuerbescheids erkannt hat.[15] In Fällen, in denen sich der Erstattungsanspruch aus der Änderung der Festsetzung ergibt, die der zu erstattenden Zahlung zugrunde lag, tritt die Fälligkeit nach § 220 Abs. 2 S. 2 AO nicht vor Bekanntgabe des Änderungsbescheids ein.[16] Wird die Vollziehung des der Zahlung zugrunde liegenden Steuerbescheids gem. § 361 Abs. 2 S. 3 AO oder § 69 Abs. 2 S. 6 bzw. Abs. 3 S. 3 FGO aufgehoben, sind bereits gezahlte Beträge unter Beachtung der sich aus § 361 Abs. 2 S. 4 AO oder § 69 Abs. 2 S. 8, Halbs. 1 FGO ergebenden Beschrän...

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