Dr. Karsten Webel, Dr. Wolfgang Dumke †
Rz. 80
Die Hinterziehung kann nur hinsichtlich einer Steuer begangen werden (s. Rz. 2, 3). Hierzu gehören alle Steuern, auf die die AO unmittelbar oder aufgrund einer besonderen gesetzlichen Verweisung Anwendung findet.
Der Anwendungsbereich des § 370 AO beschränkt sich also auf die bundesrechtlich oder durch EG-Recht geregelten, von Bundes- oder Landesfinanzbehörden verwalteten Steuern und die Realsteuern. Auf Verfehlungen hinsichtlich landesrechtlich geregelter Steuern ist § 370 AO nicht unmittelbar anzuwenden. Der Bundesgesetzgeber hat insoweit von seiner Gesetzgebungskompetenz keinen Gebrauch gemacht.
Die Hinterziehung von sonstigen Landes- oder Kommunalsteuern oder von KiSt kann nur dann nach § 370 AO geahndet werden, wenn und soweit die Vorschriften durch ein entsprechendes Gesetz für anwendbar erklärt werden. Zur finanzbehördlichen Strafverfolgungskompetenz der Hinterziehung von KiSt, die teilweise nur als Abgabenbetrug nach § 263 StGB zu ahnden ist, s. § 386 AO Rz. 21.
Rz. 80a
Gegenstand der Hinterziehung können grundsätzlich nur deutsche Steuern sein (s. Rz. 4; Vor §§ 369–412 AO Rz. 6), soweit sich nicht aus § 370 Abs. 6, 7 AO eine Erweiterung auf ausländische Steuern ergibt (s. Rz. 288 für ausländische Eingangsabgaben nach § 370 Abs. 6 AO).
Rz. 80b
Die Frage, ob nur eine verfassungsmäßige Steuer hinterzogen werden kann, ist umstritten. Zur Beantwortung dieser Frage ist zu differenzieren zwischen Steuergesetzen oder einzelnen blankettausfüllenden Normen (vgl. Rz. 10), die vom BVerfG für verfassungswidrig und nichtig erklärt wurden einerseits und verfassungswidrigen Normen, deren befristete Weitergeltung das BVerfG angeordnet hat andererseits. Kommt das BVerfG zu einer Nichtigerklärung, so entfällt der Steueranspruch ex tunc, sodass von vornherein kein schützenswerter Vermögensbestandteil des Staates gegeben ist und folglich eine Steuerhinterziehung nicht möglich ist. Eine etwaige Verurteilung wegen Hinterziehung einer verfassungswidrigen Steuer verletzt die Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 20 Abs. 3 GG. Stellt das BVerfG hingegen die befristete Weitergeltung einer verfassungswidrigen Norm fest, damit der Gesetzgeber in diesem Zeitraum die Möglichkeit hat, eine verfassungsgemäße Regelung zu schaffen, so ist nach zutreffender h. M. der in dieser Frist entstandene Steueranspruch auch strafrechtlich geschützt. Dies ergibt sich daraus, dass die verfassungswidrige Norm durch die befristete Weitergeltungsanordnung zu einem Zeitgesetz i. S. d. § 2 Abs. 4 StGB wird und als solches den Blanketttatbestand des § 370 AO ausfüllt. Folglich ist die Hinterziehung solcher Steuern strafbar.
Zur VSt kommt die h. M. somit im Hinblick auf BVerfG v. 22.6.1995, 2 BvL 37/91, BStBl II 1995, 655 zur Strafbarkeit der Hinterziehung
- Für die Frage der Festsetzungsverjährung (s. Rz. 252) und der Festsetzung von Hinterziehungszinsen (s. Rz. 253) geht die steuerrechtlich überwiegende Ansicht von der Strafbarkeit der VSt-Hinterziehung bis 31.12.1996 aus: vgl. z. B. BFH v. 24.5.2000, II R 25/99, BStBl II 2000, 378 m. w. N.; BFH v. 19.10.2000, VIII B 77/00, BFH/NV 2001, 421; BFH v. 29.11.2001, II B 93/00, BFH/NV 2002, 554; BFH v. 13.7.2005, II B 68/05, BFH/NV 2005, 1977.
- Zur ESt auf Einkünfte aus Kapitalvermögen ist die Festsetzung von Hinterziehungszinsen (s. Rz. 253) zulässig, da für Vz vor 1993 von der Strafbarkeit der ESt-Hinterziehung auszugehen ist.
- Demgegenüber ist durch die Nichtigerklärung des § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG in der Neufassung des EStG v. 16.4.1997 die Grundlage für eine strafrechtliche Verurteilung wegen der Hinterziehung der ESt auf Spekulationsgewinne entfallen.
Rz. 80c
Die USt-Hinterziehung (s. auch Rz. 283) wird durch den Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer dann nicht ausgeschlossen, wenn die durch die Ausstellung einer Scheinrechnung mit gesondert ausgewiesener USt geschaffene Gefährdung des Steueraufkommens noch fortbesteht. Die Strafbarkeit eines unberechtigten Vorsteuerabzugs aus einer Scheinrechnung entfällt nicht dadurch, dass der Rechnungsaussteller die in der Scheinrechnung ausgewiesene USt gezahlt hat.
Rz. 81
Steuern i. d. S. sind auch die Steuervorauszahlungen. Es handelt sich bei ihnen um Geldleistungen, die keine Gegenleistung für besondere Leistungen darstellen und die von einem öffentlich-rechtlichen Gemeinwesen mit dem Zweck der Einnahmeerzielung allen auferlegt werden, die den gesetzlichen Tatbestand erfüllen. Somit sind Steuervorauszahlungen Steuern i. S. d. § 3 Abs. 1 AO, die von § 370 Abs. 1 AO erfasst werden.
Rz. 82
Steuern i. d. S. sind gem. § 3 Abs. 3 AO auch Einfuhr- und Ausfuhrabgaben nach Art. 4 Nr. 10 und 11 ZK.
Hiernach sind
Einfuhrabgaben:
- Zölle und Abgaben mit gleicher Wirkung bei der Einfuhr von Waren;
- bei der Einfuhr erhobene Abgaben, die im Rahmen der gemeinsamen Agrarpolitik oder aufgrund der für bestimmte landwirtschaftliche Verarbeitungserzeugnisse geltenden Sonderregelungen vorgesehen sind;
Ausfuhrabgaben: