Rz. 53

Die Anerkennung der Zulässigkeit einer "Teil-Selbstanzeige", d. h. einer "Selbstanzeige", in der eine "Richtigstellung" zulasten des Fiskus nicht vollständig erfolgt ist, ist zunächst von der Auslegung des § 371 Abs. 1 AO abhängig. Hiernach wird derjenige, der in den Fällen des § 370 AO unrichtige oder unvollständige Angaben bei der Finanzbehörde "richtig stellt" (Rz. 51), insoweit straffrei. Aus der Zuordnung dieses Begriffs "insoweit" folgt die Zulässigkeit der "Teil-Selbstanzeige".

 

Rz. 53a

Nach bisher einhelliger Ansicht[1] wird das "insoweit" bezogen auf den Inhalt der "Richtigstellung". Die Anwartschaft auf Straf­freiheit wird demgemäß "insoweit" begründet werden, wie die "Richtigstellung" inhaltlich reicht. Eine "Richtigstellung" i. d. S. erfolgt durch alle Angaben, die eine Annäherung an die materiell richtige Steuerfestsetzung bewirken. Die Angaben in der "Selbstanzeige" können also wiederum materiell unrichtig oder unvollständig sein, ohne dass hierdurch die strafbefreiende Wirkung dem Grunde nach beeinträchtigt wird. Soweit die Steuerverkürzung gemindert wird, tritt die teilweise Straffreiheit ein[2]. Die übrige Steuerverkürzung bleibt strafbar[3]. Durch diese Auslegung des § 371 Abs. 1 AO ist damit die Rspr. zu § 395 Abs. 1 RAO überholt, ob und inwieweit "neue" Unrichtigkeiten unerheblich sein müssten, um noch als "Berichtigung" (Rz. 52) gelten zu können[4].

 

Rz. 53b

Für den Eintritt der – teilweisen – Straffreiheit ist es bei dieser Ansicht unerheblich, warum der "Selbstanzeigende" nicht eine vollständige Richtigstellung vornimmt[5]. Selbst eine "dolose Selbstanzeige", d. h. eine "Selbstanzeige", die in der Erwartung vorgenommen wird, dass dadurch hinsichtlich weiterer Einkünfte in diesem Besteuerungszeitraum nicht mehr ermittelt wird[6], führt "insoweit" zur Straffreiheit, als dadurch eine Annäherung an die materiell richtige Steuerfestsetzung erfolgt[7]. § 371 Abs. 1 AO stellt primär auf den fiskalischen Vorteil ab, eine besondere Motivation oder Gesinnung des "Selbstanzeigenden" ist nicht Tatbestandsmerkmal des Gesetzes (Rz. 3a, 40a).

 

Rz. 53c

Keine "dolose Selbstanzeige" liegt dagegen vor, wenn nur Angaben gemacht werden, die einen fiktiven, erfundenen Sachverhalt betreffen, mit dem der tatsächlich verwirklichte Sachverhalt verdeckt werden sollte[8]. Der "steuerliche Ertrag" aus dem fiktiven Sachverhalt hat keine Bedeutung, denn allein der fiskalische Ausgleich (Rz. 3) kann die Strafbefreiung nicht rechtfertigen[9].

 

Rz. 54a

Demgegenüber will der BGH[10] das "insoweit" (Rz. 53) nunmehr nicht auf den Inhalt der Angaben beziehen (Rz. 53a), sondern allein auf den Umfang der Strafbefreiung, die nämlich nur für die Steuerhinterziehung eintritt (Rz. 18). Er kündigt damit, abweichend von der bisherigen einhelligen Rechtsauffassung (Rz. 53a), eine Änderung der Rechtsprechung an. Aus dem dann, mangels abweichender gesetzlicher Regelung, allgemein geltenden Gebot der wahrheitsgemäßen und insbesondere vollständigen Offenbarung (Rz. 52) folgert der BGH[11], dass die Voraussetzungen einer Strafbefreiung nur dann gegeben sind, wenn der Anzeigende "reinen Tisch" macht und damit zur Steuerehrlichkeit insgesamt zurückkehrt. Unter dieser Prämisse ist dann konsequenterweise eine "Teil-Selbstanzeige" für den Eintritt der strafbefreienden Rechtswirkung (Rz. 16) nicht ausreichend[12].

 

Rz. 54b

Die neue Interpretation des BGH (Rz. 54a) zum Begriff "insoweit" mag zwar möglich sein, zwingend ist sie indes nicht[13]. Sie ist als "obiter dictum" auch für die Strafgerichtsbarkeit noch unverbindlich. Es wäre jedoch ein grober Fehler, wenn im Zusammenhang mit der Beratung zur Erstellung einer "Selbstanzeige" diese Rechtsauffassung des BGH unberücksichtigt bliebe.

Die "Abschaffung" der "Teil-Selbstanzeige" ist eine "Rechtsreform durch Ausle­gung" eines fünfköpfigen Gremiums, die m. E. besser der Gesetzgebung im Rahmen einer Gesetzesänderung überlassen bleiben sollte. Die "Abschaffung" erscheint mir auch nicht praxisgerecht. Die Erfahrung zeigt, dass eine "Selbstanzeige" hauptsächlich durch die Gefahr der Entdeckung der Tat ausgelöst wird (Rz. 3b) und die Rückkehr zur Steuerehrlichkeit (Rz. 54a) m. E. nur Wunschdenken ist. Wenn noch, neben den offenbarten, weitere Steuerquellen vorhanden sind, dürften m. E. diese überwiegend nur dann aufgedeckt werden, wenn auch insoweit eine konkrete Entdeckungsgefahr besteht. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass durch eine unvollständige "Teil-Selbstanzeige" die Steuerhinterziehung zwar insgesamt strafbar bleibt, aber die "Richtigstellung" bei der Strafbemessung notwendig zu berücksichtigen ist, da der Steuerschaden geringer geworden ist (§ 370 AO Rz. 221). Wenn dann durch eine ­spätere "Teil-Selbstanzeige" zwar die Unvollständigkeit der ersten "Teil-Selbstanzeige" aufgedeckt wird, aber der gesamte Steuerschaden entfallen ist, dürfte das Strafbedürfnis gering, wenn nicht sogar insgesamt entfallen sein.

[1] Hoyer, in Beermann/Gosch, AO/FGO, § 371 AO Rz. 21; Jäger, in Klein, AO, 10. Aufl. ...

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