Rz. 97
Ein Steuerstrafverfahren ist nach § 397 Abs. 1 AO eingeleitet, sobald von der Finanzbehörde oder den Strafverfolgungsorganen eine Maßnahme getroffen wird, die erkennbar darauf abzielt, gegen jemanden wegen einer Steuerstraftat bzw. Steuerordnungswidrigkeit strafrechtlich bzw. bußgeldrechtlich vorzugehen (§ 397 AO Rz. 34ff.; § 410 Abs. 1 Nr. 6 AO).
Rz. 98
Da die Einleitung des Steuerstrafverfahrens (Rz. 97) nicht erfordert, dass der Beschuldigte (Rz. 100) hiervon in Kenntnis gesetzt werden muss (§ 397 AO Rz. 46), ist die Einleitung allein für die Ausschlusswirkung nicht ausreichend. Diese tritt nach § 371 Abs. 2 Nr. 1b AO vielmehr erst mit der Bekanntgabe der Einleitung ein. Dies ist die offizielle Mitteilung durch die Finanzbehörde oder die Strafverfolgungsorgane, also die vom Willen des Amtsträgers getragene Erklärung, dass strafrechtliche Ermittlungen geführt werden. Sie ist nach § 397 Abs. 3 AO spätestens erforderlich, wenn der Tatbeteiligte zur aktiven Mitwirkung bei der Ermittlung aufgefordert wird, damit dieser von seinem Mitwirkungsverweigerungsrecht Gebrauch machen kann (§ 397 AO Rz. 47). Die Ausschlusswirkung der Einleitungsbekanntgabe tritt nur dann ein, wenn der Beschuldigte (Rz. 100) durch den Inhalt der Bekanntgabe über die Tat, derer er verdächtigt wird, "ins Bild gesetzt" und ihm mitgeteilt wird, welche Steuerart durch welches Tatverhalten verkürzt worden sein und auf welchen Besteuerungszeitraum sich die Steuerhinterziehung erstrecken soll (Rz. 103; § 397 AO Rz. 51).
Private Mitteilungen oder Indiskretionen lösen die Sperrwirkung nicht aus.
Rz. 99
Die Form der Bekanntgabe schreibt § 397 AO nicht vor (§ 397 AO Rz. 50). Sie kann schriftlich oder mündlich, z. B. bei Beginn der Vernehmung, erfolgen, aber sich auch schlüssig aus der Durchführung von Durchsuchungen oder Beschlagnahmen ergeben, da bei diesen Maßnahmen der Zweck anzugeben ist (Rz. 95).
Rz. 100
Die Ausschlusswirkung tritt nach dem Gesetzeswortlaut ein, wenn die Bekanntgabe der Einleitung (Rz. 97) gegenüber dem Täter erfolgt ist. Die Form der Täterschaft (§ 369 AO Rz. 50; § 370 AO Rz. 13) ist unerheblich.
Die h. M. hat diese Gesetzesformulierung bisher dahin verstanden, dass die Ausschlusswirkung durch die Bekanntgabe an den Tatbeteiligten in jeglicher Täter- oder Teilnahmeform (Rz. 29) eintritt. Demgegenüber wird nun auch die Ansicht vertreten, dass aufgrund des Gesetzeswortlauts nur die Bekanntgabe an den Täter im strafrechtlichen Sinn (§ 369 AO Rz. 50; § 370 AO Rz. 13) die Ausschlusswirkung auslösen kann, also ein nur Tatteilnehmer im strafrechtlichen Sinn (§ 369 AO Rz. 48; § 370 AO Rz. 11) nicht an der "Selbstanzeige" gehindert wird.
Es ist zwar zutreffend, dass im Strafrecht der Gesetzeswortlaut eine hohe Bedeutung hat (§ 369 AO Rz. 10), dies verbietet indes nicht die Auslegung des Gesetzes, wenn der Wortlaut erkennbar fehlerhaft ist und nicht dem Gesetzessinn entspricht. Die Einleitung ist eine strafprozessuale Maßnahme, durch die das Steuerstrafverfahren anhängig wird (§ 397 AO Rz. 3). Sie richtet sich gegen denjenigen, der der Tat im strafprozessualen Sinn in irgendeiner Beteiligungsform verdächtig ist (§ 397 AO Rz. 27). Dieser Tatverdächtige wird durch die Einleitung zum Beschuldigten des Strafverfahrens (Vor §§ 385–408 AO Rz. 13). Ihm ist zu seinem Schutz (§ 397 AO Rz. 8) bekannt zu geben, dass gegen ihn strafrechtliche Ermittlungen in dem konkretisierten Umfang (Rz. 98) geführt werden (§ 397 AO Rz. 46). Diese strafrechtlichen Ermittlungen sind der Grund dafür, dass ihm die Rechtswohltat der strafbefreienden Wirkung einer "Selbstanzeige" für diese Tathandlung zu versagen ist (Rz. 63). Täter i. S. v. § 371 Abs. 2 Nr. 1b AO ist demgemäß der Beschuldigte, gegen den sich das Steuerstrafverfahren richtet, dessen Einleitung ihm bekannt gegeben worden ist.
Rz. 101
Die Ausschlusswirkung tritt auch ein, wenn die Bekanntgabe der Einleitung gegenüber dem Vertreter des Beschuldigten (Rz. 100) erfolgt. Vertreter i. S. d. Vorschrift sind einmal die gesetzlichen Vertreter, aber auch die durch besondere Vollmacht gewillkürten Vertreter.
Vom Sinn und Zweck des Gesetzes her erschöpft sich der Vertreterbegriff i. S. d. Vorschrift aber nicht in dieser rechtlichen Betrachtungsweise. Vertreter i. d. S. ist jede Person, die mit dem Beschuldigten (Rz. 100) in einer so engen tatsächlichen oder rechtlichen Verbindung steht, dass nach der allgemeinen Lebenserfahrung und der Verkehrsanschauung davon ausgegangen werden kann, dass sie zum Empfang amtlicher Mitteilungen (Rz. 98) befugt ist. Vertreter i. d. S. sind auch der Lebenspartner, Ehegatte oder andere volljährige Familienangehörige.