2.3.5.1 Allgemeines
Rz. 106
Nach § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO führt die "Selbstanzeigeerklärung" nicht zur Straffreiheit, wenn im Zeitpunkt der Abgabe (Rz. 34) die Tat ganz oder z. T. bereits entdeckt war und der Täter dies wusste oder bei verständiger Würdigung der Sachlage mit der Tatentdeckung rechnen musste. Bei Vorliegen einer Tatentdeckung ist das fiskalische Interesse an der Erschließung einer bisher unbekannten Steuerquelle als Grund der in Aussicht gestellten Straffreiheit (Rz. 3) soweit reduziert, dass für die Gewährung der Straffreiheit kein Anlass besteht. Eine gleichwohl vom Tatbeteiligten vorgenommene Aufdeckung hat nur noch die Bedeutung eines verfahrenserleichternden Geständnisses, das bei der Bemessung der Strafe mildernd zu berücksichtigen ist (§ 370 AO Rz. 219).
2.3.5.2 Ausschlusszeitpunkt
Rz. 107
Der Ausschlussgrund nach § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO greift nur ein, wenn die Tatentdeckung im Zeitpunkt der Vornahme der "Selbstanzeigeerklärung" bereits erfolgt ist. Maßgeblicher Zeitpunkt ist die Bekanntgabe der Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung bei der zuständigen Finanzbehörde (Rz. 34–36). Die "Selbstanzeigeerklärung" führt zur Aufdeckung der Straftat und begründet den Tatverdacht (Rz. 11). Diese Aufdeckung der Tat bewirkt aber keine "Tatentdeckung" i. S. d. § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO für den Anzeigenden, wohl aber für andere Tatbeteiligte.
2.3.5.3 Person des Entdeckers
Rz. 108
Der Gesetzeswortlaut lässt es offen, von wem die Tat entdeckt worden sein muss. Hieraus ist zu schließen, dass regelmäßig jede Person Entdecker i. S. v. § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO sein kann, sofern sie nicht Tatbeteiligte ist. Aus Sinn und Zweck des Ausschlusstatbestands ergibt sich aber die Einschränkung, dass durch den Entdecker eine konkrete Aufdeckungsgefahr begründet wird. Es muss damit zu rechnen sein, dass der Entdecker seine Kenntnis an die Finanzbehörde weitergibt. Die Entdeckerperson muss zur Information der Finanzbehörde und damit zur Erschließung der bisher unbekannten Steuerquelle verpflichtet oder willens sein. Weitere Einschränkungen werden durch den Gesetzeswortlaut nicht gerechtfertigt.
Rz. 109
Als Entdeckerperson i. S. v. § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO kommen demgemäß alle Amtsträger, auch außerhalb der Finanzbehörde, in Betracht, die im Rahmen ihrer Dienstgeschäfte von der Tat Kenntnis erlangen, soweit sie aufgrund ihrer Rechtsstellung nach § 116 AO zur Information der Finanzbehörde oder aufgrund des Legalitätsprinzips nach §§ 152 Abs. 2, 163 Abs. 1 StPO zur Verfolgung der Straftat verpflichtet sind (§ 397 AO Rz. 23).
Rz. 110
Auch bei privater Kenntniserlangung von der Tat durch Amtsträger oder bei Kenntniserlangung durch Privatpersonen ist eine Entdeckung i. S. v. § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO möglich. Hier ist aber zu differenzieren:
- Beteiligt sich die Privatperson nach Kenntniserlangung von dem Geschehen durch Beihilfe oder Begünstigung oder durch sonstige Nutznießung (z. B. ein Erpresser) an der Tat, so liegt mangels Aufdeckungsgefahr (s. Rz. 108) keine Tatentdeckung i. d. S. vor.
- Deckt der Tatbeteiligte die Tat seinem steuerlichen oder rechtlichen Berater zwecks Beratung über die Rechtslage auf, so liegt in dieser Offenbarung keine Tatentdeckung. Die Information eines Dritten, damit dieser die "Selbstanzeige" erstattet (Rz. 31, 33), führt nicht zur Tatentdeckung des Dritten. Gleiches gilt für andere Personen, die aufgrund ihrer beruflichen Stellung oder aufgrund der Einbeziehung in die Vertrauenssphäre des Tatbeteiligten, z. B. Angehörige, ein gesetzliches Aussageverweigerungsrecht haben, vgl. z. B. §§ 101ff., §§ 52ff. StPO, und zur Ausübung dieses Rechts und damit zur Geheimhaltung rechtlich verpflichtet oder aus Gewissensgründen gehalten sind.
- Die Tatentdeckung durch andere Privatpersonen dürfte nur ein besonderer Ausnahmefall ohne praktische Bedeutung sein, wenn sie das Geschehen nicht der Finanzbehörde oder den Strafverfolgungsorganen zur Kenntnis bringen, da das Vorliegen des Ausschlussgrunds von den Strafverfolgungsorganen zu beweisen ist.
2.3.5.4 Tatentdeckung
2.3.5.4.1 Objektive Voraussetzung
Rz. 111
Die strafbefreiende Wirkung der "Selbstanzeigeerklärung" wird nach § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO nur dann ausgeschlossen, wenn eine Tatentdeckung objektiv vorliegt. Die Entdeckungsgefahr begründet die Ausschlusswirkung nicht, auch die irrige Annahme des "Selbstanzeigenden", dass die Tat entdeckt sei, hindert den Eintritt der Straffreiheit dagegen nicht.