2.3.5.4.1 Objektive Voraussetzung
Rz. 111
Die strafbefreiende Wirkung der "Selbstanzeigeerklärung" wird nach § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO nur dann ausgeschlossen, wenn eine Tatentdeckung objektiv vorliegt. Die Entdeckungsgefahr begründet die Ausschlusswirkung nicht, auch die irrige Annahme des "Selbstanzeigenden", dass die Tat entdeckt sei, hindert den Eintritt der Straffreiheit dagegen nicht.
2.3.5.4.2 Tatbegriff
Rz. 112
Der Begriff der Tat i. S. v. § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO entspricht dem strafprozessualen Tatbegriff nach § 264 StPO. Dies ist das Gesamtverhalten des Beteiligten, soweit es nach natürlicher Auffassung einen einheitlichen Lebensvorgang darstellt. Abzustellen ist also auf die einzelne Tathandlung nach § 370 Abs. 1 AO (§ 370 AO Rz. 36ff.), der Nichtabgabe bzw. der Abgabe unrichtiger Steuererklärungen, die durch den Stpfl., die Steuerart und den Besteuerungszeitraum konkretisiert wird. Damit ergibt sich insoweit die inhaltliche Übereinstimmung mit dem Ausschlussgrund nach § 371 Abs. 2 Nr. 1b AO.
2.3.5.4.3 Entdeckung
Rz. 113
Die Entdeckung der Tat ist die Wahrnehmung eines bisher unbekannten Geschehens und des diesem immanenten Unrechtsgehalts. Wann i. d. S. die Tat entdeckt ist, ist umstritten. Anlass für diesen Meinungsstreit ist die Einordnung des Begriffs der Tatentdeckung.
Rz. 113a
Nach der bisher in der Literatur und Rechtsprechung vertretenen Auffassung ist der Begriff einzuordnen in das System der üblichen strafprozessualen Begriffsbestimmungen zum Tatverdacht (§ 397 AO Rz. 27, 28).
Ausgangspunkt ist danach der für die Einleitung eines Strafverfahrens erforderliche Tatverdacht i. S. v. § 152 Abs. 2 StPO. Dieser "Anfangsverdacht" (§ 397 AO Rz. 27) ist gegeben, wenn zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine verfolgbare Straftat vorliegen (§ 397 AO Rz. 27). Hierzu wurde teilweise die Ansicht vertreten, dass die Tatentdeckung weniger oder soviel Kenntnisstand wie der Tatverdacht erfordere.
Rz. 113b
Demgegenüber vertritt die Rspr. die Auffassung, dass der "Anfangsverdacht" nicht für die Tatentdeckung ausreichen würde, und hat diesen Ausschlussgrund für die Straffreiheit enger gefasst. Hiernach ist eine Steuerstraftat nicht schon dann entdeckt, wenn Tatsachen bekannt geworden sind, die zur Einleitung von Ermittlungen Anlass geben können (Rz. 113a), sondern erst dann, wenn Anhaltspunkte bekannt sind, die bei vorläufiger Bewertung eine Verurteilung wahrscheinlich erscheinen lassen.
Die Begriffsbestimmung entspricht damit dem Inhalt des "hinreichenden Tatverdachts" i. S. v. § 203 StPO, der gegeben ist, wenn eine Verurteilung aufgrund der vorläufigen Sachkenntnis typischerweise wahrscheinlich ist. Das erfordert, dass nicht nur das äußere Tatgeschehen wahrgenommen, sondern aufgrund des wahrgenommenen Sachverhalts auf die subjektiven Tatbestandsmerkmale geschlossen worden ist. Nicht notwendig ist dagegen, dass der Tatentdecker den gleichen Grad an Überzeugung von der schuldhaften Tatbegehung erlangt, wie er für die Verurteilung vom Gericht zu gewinnen ist.
Rz. 113c
Deswegen schließt der äußere steuerliche Geschehensablauf die "Selbstanzeige" nicht aus. Der einfache Ablauf der Steuererklärungsfristen führt nicht zur Tatentdeckung. Auch Mahnungen, die Anwendung von Zwangsmitteln für die Abgabe von fehlenden Steuererklärungen bzw. die Steuerfestsetzung im Schätzungsweg oder ein Haftungsbescheid hindern die "Selbstanzeige" nicht, ebenso der Eingang von Kontrollmitteilungen beim zuständigen FA. Es müssen erst weitere Feststellungen durch den Amtsträger getroffen sein, um eine objektive (Rz. 111) Tatentdeckung annehmen zu können. Nur durch das Ermittlungsergebnis und das weitere Verhalten des Amtsträgers wird die Tatentdeckung dokumentiert. Hierbei ist für den "Selbstanzeigenden" im Hinblick auf das Legalitätsprinzip bei der Strafverfolgung nach § 152 Abs. 2 StPO, dem auch die Amtsträger der Finanzbehörde verpflichtet sind (§ 397 AO Rz. 23), und im Hinblick darauf, dass sich die Amtsträger rechtmäßig verhalten, davon auszugehen, dass die Tat nicht entdeckt ist, wenn Maßnahmen im Besteuerungsverfahren getroffen werden, insbesondere wenn die Mitwirkung des Stpfl. verlangt wird, ohne dass auf die strafrechtlichen Konsequenzen hingewiesen worden ist.
Für den Stpfl. P geht bei seinem Wohnsitzfinanzamt eine Kontrollmitteilung ein, wonach er im Jahr 2007 eine Vermittlungsprovision für einen Geschäftsabschluss i. H. v. 2.500 EUR erhalten haben soll. Da sich aus der E...