Rz. 113

Die Entdeckung der Tat ist die Wahrnehmung eines bisher unbekannten[1] Geschehens und des diesem immanenten Unrechtsgehalts[2]. Wann i. d. S. die Tat entdeckt ist, ist umstritten. Anlass für diesen Meinungsstreit ist die Einordnung des Begriffs der Tatentdeckung.

 

Rz. 113a

Nach der bisher in der Literatur und Rechtsprechung vertretenen Auffassung ist der Begriff einzuordnen in das System der üblichen strafprozessualen Begriffsbestimmungen zum Tatverdacht (§ 397 AO Rz. 27, 28).

Ausgangspunkt ist danach der für die Einleitung eines Strafverfahrens[3] erforderliche Tatverdacht i. S. v. § 152 Abs. 2 StPO. Dieser "Anfangsverdacht" (§ 397 AO Rz. 27) ist gegeben, wenn zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine verfolgbare Straftat vorliegen (§ 397 AO Rz. 27). Hierzu wurde teilweise die Ansicht vertreten, dass die Tatentdeckung weniger oder soviel Kenntnisstand wie der Tatverdacht erfordere[4].

 

Rz. 113b

Demgegenüber vertritt die Rspr. die Auffassung, dass der "Anfangsverdacht" nicht für die Tatentdeckung ausreichen würde, und hat diesen Ausschlussgrund für die Straffreiheit enger gefasst. Hiernach ist eine Steuerstraftat nicht schon dann entdeckt, wenn Tatsachen bekannt geworden sind, die zur Einleitung von Ermittlungen Anlass geben können (Rz. 113a), sondern erst dann, wenn Anhaltspunkte bekannt sind, die bei vorläufiger Bewertung eine Verurteilung wahrscheinlich erscheinen lassen[5].

Die Begriffsbestimmung entspricht damit dem Inhalt des "hinreichenden Tatverdachts" i. S. v. § 203 StPO, der gegeben ist, wenn eine Verurteilung aufgrund der vorläufigen Sachkenntnis typischerweise wahrscheinlich ist[6]. Das erfordert, dass nicht nur das äußere Tatgeschehen wahrgenommen, sondern aufgrund des wahrgenommenen Sachverhalts auf die subjektiven Tatbestandsmerkmale geschlossen worden ist[7]. Nicht notwendig ist dagegen, dass der Tatentdecker den gleichen Grad an Überzeugung von der schuldhaften Tatbegehung erlangt, wie er für die Verurteilung vom Gericht zu gewinnen ist[8].

 

Rz. 113c

Deswegen schließt der äußere steuerliche Geschehensablauf die "Selbstanzeige" nicht aus[9]. Der einfache Ablauf der Steuererklärungsfristen führt nicht zur Tatentdeckung[10]. Auch Mahnungen, die Anwendung von Zwangsmitteln für die Abgabe von fehlenden Steuererklärungen bzw. die Steuerfestsetzung im Schätzungsweg oder ein Haftungsbescheid hindern die "Selbstanzeige" nicht[11], ebenso der Eingang von Kontrollmitteilungen beim zuständigen FA[12]. Es müssen erst weitere Feststellungen durch den Amtsträger getroffen sein, um eine objektive (Rz. 111) Tatentdeckung annehmen zu können. Nur durch das Ermittlungsergebnis und das weitere Verhalten des Amtsträgers wird die Tatentdeckung dokumentiert. Hierbei ist für den "Selbstanzeigenden" im Hinblick auf das Legalitätsprinzip bei der Strafverfolgung nach § 152 Abs. 2 StPO, dem auch die Amtsträger der Finanzbehörde verpflichtet sind (§ 397 AO Rz. 23), und im Hinblick darauf, dass sich die Amtsträger rechtmäßig verhalten, davon auszugehen, dass die Tat nicht entdeckt ist, wenn Maßnahmen im Besteuerungsverfahren getroffen werden, insbesondere wenn die Mitwirkung des Stpfl. verlangt wird, ohne dass auf die strafrechtlichen Konsequenzen hingewiesen worden ist[13].

 
Praxis-Beispiel

Für den Stpfl. P geht bei seinem Wohnsitzfinanzamt eine Kontrollmitteilung ein, wonach er im Jahr 2007 eine Vermittlungsprovision für einen Geschäftsabschluss i. H. v. 2.500 EUR erhalten haben soll. Da sich aus der ESt-Erklärung nur Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit ergeben, fragt das FA bei P nach, wie er die Provision steuerlich erfasst habe. P bestätigt den Provisionsempfang und weist gleichzeitig darauf hin, dass er als Unterprovision 1.000 EUR an X gezahlt und er im Übrigen keine weiteren Einkünfte gehabt habe.

Die Bestätigung ist als wirksame "Selbstanzeige" zu sehen. Die Nachfrage im Besteuerungsverfahren beweist P, dass keine Tatentdeckung erfolgt ist.

 

Rz. 113d

Nach § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO ist die strafbefreiende Wirkung einer "Selbstanzeige" auch dann ausgeschlossen, wenn die Tat nicht vollständig, sondern nur teilweise entdeckt worden ist. Die Annahme der Tatentdeckung wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Entdecker nicht alle Einzelheiten des Tatgeschehens wahrgenommen hat. Als Tatentdeckung reichen auch Erkenntnisse über Vorbereitungshandlungen und Vorstufen der Steuerhinterziehung, also z. B. das Auffinden gefälschter Belege. Insbesondere muss nicht der gesamte Umfang der Tatfolgen, d. h. der Steuerverkürzung, festgestellt worden sein.

 

Rz. 113e

Wann eine Teilentdeckung vorliegt, ist für jede Einzeltat nach der Steuerart und dem Besteuerungszeitraum zu bestimmen.

 
Praxis-Beispiel

A hat in seiner ESt-Erklärung 2007 bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb einerseits die Betriebseinnahmen "gemindert", andererseits die Betriebsausgaben durch gefälschte Belege "erhöht". Er hat ferner die Einkünfte aus Kapitalvermögen unvollständig erklärt. Entdeckt wird die "Erhöhung" der Betriebsausgaben. A zeigt die anderen falschen...

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