Rz. 259
Sowohl nach der herrschenden Literaturmeinung als auch nach der Ansicht des BGH schließt die Kenntnis vom äußeren steuerlichen Geschehensablauf die Selbstanzeige nicht aus. Auch der einfache Ablauf der Steuererklärungsfristen führt für sich allein betrachtet nicht zur Tatentdeckung, da es für das Verstreichenlassen einer Erklärungsfrist zahlreiche Gründe geben kann. Dasselbe gilt auch im Fall von Mahnungen, der Anwendung von Zwangsmitteln für die Abgabe von fehlenden Steuererklärungen bzw. des Erlasses eines Haftungsbescheids. Auch die Steuerfestsetzung im Schätzungsweg rechtfertigt für sich allein betrachtet noch nicht die Annahme einer Tatentdeckung i. S. d. § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AO, sofern die Schätzungen der Finanzbehörde in den Vorjahren jeweils unzutreffend oder zu hoch waren.
Rz. 260
Im Hinblick auf das im Rahmen der Strafverfolgung geltende Legalitätsprinzip des § 152 Abs. 2 StPO, dem auch die Amtsträger der Finanzbehörde verpflichtet sind, und im Hinblick darauf, dass vom rechtmäßigen Verhalten der Amtsträger auszugehen ist, gilt die Tat als nicht entdeckt, wenn Maßnahmen im Besteuerungsverfahren getroffen werden, insbesondere wenn die Mitwirkung des Stpfl. verlangt wird, ohne dass auf die strafrechtlichen Konsequenzen hingewiesen wird.
Das FA erhält eine Kontrollmitteilung, nach der A im Jahr 2014 Provisionseinnahmen i. H. v. 20.000 EUR erhalten hat. Aus der Steuerakte ergibt sich, dass er Einkünfte i. H. v. 10.000 EUR erklärt hat. Eine Einnahmeüberschussrechnung liegt nicht vor. Daraufhin fragt das FA bei A an, welche Bewandtnis es mit dieser Zahlung habe. Wenige Tage später erstattet A Selbstanzeige.
Es liegt eine wirksame strafbefreiende Selbstanzeige vor, da die Kontrollmitteilung keine Tatentdeckung begründet (nicht einmal einen Anfangsverdacht), da es durchaus plausibel war, dass nach Abzug der Betriebsausgaben lediglich 10.000 EUR verblieben.
Darüber hinaus ist eine Tatentdeckung schon deshalb zu verneinen, weil das FA im Rahmen des Besteuerungsverfahrens tätig wurde ohne zuvor ein Strafverfahren einzuleiten.
Rz. 261
Etwas problematischer ist die Frage, ob Kontrollmitteilungen zur Tatentdeckung führen. Es dürfte aber davon auszugehen sein, dass der Eingang von Kontrollmitteilungen beim zuständigen FA erst im Zusammenhang mit weiteren Feststellungen durch den Amtsträger zu einer objektiven Tatentdeckung führt. Bei diesen weiteren Ermittlungshandlungen wird es sich i. d. R. um den Abgleich mit den Steuerakten handeln, es ist jedoch z. B. auch die Einsichtnahme in andere Unterlagen oder die Befragung von Zeugen denkbar. Eine Tatentdeckung liegt dann vor, wenn erstens im jeweiligen Einzelfall konkrete Anhaltspunkte für die Tat vorliegen und zweitens unter Berücksichtigung des frühen Verfahrensstadiums eine gewisse Verurteilungswahrscheinlichkeit besteht.
Rz. 262
Umstritten ist die Frage der Tatentdeckung bei festgestellten Kapitaltransfers ins Ausland oder anlässlich einer Grenzkontrolle aufgefundenen Belegen über Konten oder Schließfächern ausländischer Banken. Nach der h. M. in der Literatur ist in diesen Fällen (noch) nicht von einer Tatentdeckung auszugehen, da eine Geldanlage im Ausland zulässig sei und es folglich des Abgleichs mit den Steuerakten bedürfe, um festzustellen, ob die Kapitalerträge auch verschwiegen worden seien. Ebenso soll bei Schmiergeldzahlungen zu verfahren sein, sodass die bloße Kenntnis von einer Bestechung für eine Tatentdeckung noch nicht ausreiche, da sich allein daraus noch keine Feststellung zur steuerlichen Erfassung ergebe.
Rz. 263
Ausgehend von der zutreffenden Ansicht des BGH wird man jedoch zu anderen Ergebnissen kommen müssen, wenn es sich um Fälle handelt, in denen unter Berücksichtigung aller Umstände nach allgemeiner kriminalistischer Erfahrung eine Steuerstraftat oder -ordnungswidrigkeit naheliegt. Dies dürfte der Fall sein, wenn ein Transfer zu einer steuerlich nicht anzuerkennenden ausländischen Stiftung (z. B. Liechtenstein) oder die Einschaltung von sog. Off-Shore-Gesellschaften festgestellt wird. Eine Tatentdeckung ist aufgrund der allgemeinen kriminalistischen Erfahrung ebenso zu bejahen, wenn Zahlungen im Zusammenhang mit Bestechungen über eine zypriotische Firma erfolgen und Schweizer Banken eingeschaltet werden. Dasselbe gilt nach kriminalistischer Erfahrung bei der Verwendung von Nummernkonten, Pseudonymen oder unter Umständen auch im Fall von Geldwäschemeldungen nach § 11 GWG (vgl. Rz. 263a) bzw. der Anforderung von steuerlichen Informationen zur Bearbeitung von Geldwäscheverfahren gem. § 31b S. 1 AO.
Auch wenn diese Ansicht des BGH insb. von Verteidigerseite heftig angegriffen wird, so kann man sich unabhängig von juristischen Gesichtspunkten nicht dem Befund entziehen, dass die Ansicht des BGH der Wirklichkeit am ehesten gerecht wird. So waren z. B. lediglich 0,2 % der im Rahmen des HSBC-Verfahrens in Frankreich untersuchten Konten steuerlich korrekt behandelt. Mithin liegt z. B. bei ...