Rz. 271
Der Ausschlussgrund der Tatentdeckung erfordert im Gegensatz zu den anderen Ausschlussgründen auch das Vorliegen einer subjektiven Komponente. Die Tatentdeckung muss nicht nur objektiv vorliegen, sondern der Täter muss um die Entdeckung wissen oder bei verständiger Würdigung der Sachlage mit ihr rechnen müssen.
2.3.7.3.1 Kenntnis von der Tatentdeckung
Rz. 272
Die Tatentdeckung schließt nach § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AO die Straffreiheit dann aus, wenn der Täter hiervon positive Kenntnis hat. Dies ist der Fall, wenn er aus den ihm bekannten Tatsachen den Schluss gezogen hat, eine Behörde oder ein anzeigewilliger Dritter habe von seiner Tat so umfassend Kenntnis erlangt, dass seine Verurteilung bei vorläufiger Beurteilung wahrscheinlich ist. Die irrige Annahme des Selbstanzeigenden, dass die Tat entdeckt sei, hindert den Eintritt der Straffreiheit dagegen nicht.
Die Kenntnis ist von den Strafverfolgungsorganen zu beweisen. Tatsächliche Zweifel an der Kenntnis oder an dem Wissen um die Umstände, aus denen auf die Möglichkeit der Tatentdeckung geschlossen werden konnte, hindern nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" die Ausschlusswirkung.
Rz. 272a
Eine Besonderheit besteht für Teilnehmer (Anstifter und Gehilfen). Nach dem klaren Wortlaut des § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AO ist allein auf die positive Kenntnis des Täters bzw. die Erkennbarkeit für den Täter abzustellen. Offensichtlich war dies auch vom Gesetzgeber gewollt, denn in den Nr. 1a) und 1b) des § 371 Abs. 2 S. 1 AO ist der Begriff des Täters durch den des an der Tat Beteiligten ersetzt worden. Im Gegensatz dazu ist dies in der Nr. 2 nicht geschehen, obwohl dieser Punkt bereits vor der Verschärfung des § 371 AO im Jahr 2015 in der Literatur diskutiert wurde. Folglich kann ein Teilnehmer trotz objektiver Tatentdeckung solange eine wirksame Selbstanzeige abgeben, wie der Täter keine positive Kenntnis von der Tatentdeckung hat bzw. er mit der Entdeckung nicht rechnen musste. Die eigene Kenntnis der Teilnehmer oder die Erkennbarkeit für diese sind ohne Bedeutung.
2.3.7.3.2 Erkennbarkeit der Tatentdeckung
Rz. 273
Nach § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 AO tritt die Straffreiheit auch dann nicht ein, wenn der Tatbeteiligte die Tatentdeckung zwar nicht kannte bzw. ihm diese Kenntnis nicht nachgewiesen werden kann, aber er "bei verständiger Würdigung der Sachlage damit rechnen musste". Der Täter muss mit der – zumindest teilweisen – Entdeckung der Tat rechnen, wenn er aus den ihm (nachweislich) bekannten Tatsachen den Schluss hätte ziehen müssen, dass ein tauglicher Tatentdecker von der Steuerhinterziehung Kenntnis erlangt hat.
Rz. 273a
Dieser Zusatz bringt, da die positive Kenntnis von der Tatentdeckung i. d. R. schwer nachzuweisen sein wird, eine Beweiserleichterung für die Strafverfolgungsorgane. Es handelt sich um eine widerlegbare gesetzliche Beweisregel zuungunsten des Beschuldigten. Dies führt aber nicht zu einer Beweislastumkehr, sondern dem Täter, der das Wissen um die Tataufdeckung bestreitet, muss durch konkrete und zwingende Begleitumstände nachgewiesen werden, dass sich ihm die Überzeugung von der Tatentdeckung aufdrängen musste.
Folglich ist in einem ersten Schritt nachzuweisen, dass der Täter Kenntnis von den die Tatentdeckung kennzeichnenden Umständen hat. In einem zweiten Schritt muss der Schluss gezogen werden, dass sich ausgehend von dieser Kenntnis dem Täter der Schluss aufdrängen musste, dass seine Tat entdeckt ist.
2.3.7.3.3 Vorhersehbarkeit für den Tatbeteiligten
Rz. 274
Der Täter muss "bei verständiger Würdigung der Sachlage" mit der Tatentdeckung rechnen, wenn er aufgrund der ihm na...