2.4.4.5.1 Rechtscharakter des Begriffs "angemessen"
Rz. 156
Die dem Nachentrichtungspflichtigen zu bestimmende Frist für die Nachentrichtung muss angemessen sein. "Angemessen" ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der der vollen gerichtlichen Nachprüfung unterliegt, wenn nach vermeintlicher Nichteinhaltung der Frist ein Strafverfahren durchgeführt wird.
Rz. 157
Der demgegenüber vertretenen Ansicht, dass die Frist durch das Strafverfolgungsorgan nach "pflichtgemäßem Ermessen" zu erfolgen habe, kann im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG nicht gefolgt werden, da damit der Eintritt der Strafbarkeit bzw. Straffreiheit in der Dispositionsbefugnis eines Strafverfolgungsorgans stehen würde. Eine gerichtliche Überprüfung wäre nach dieser Ansicht nur hinsichtlich eines Ermessensmissbrauchs möglich.
Rz. 158
Gelangt das Gericht, das nach Klageerhebung über das Vorliegen des Strafaufhebungsgrunds (Rz. 151) zu entscheiden hat, in der Hauptverhandlung zur Überzeugung, dass die Fristsetzung nicht angemessen gewesen ist, so ist diese insgesamt unwirksam. Die Rechtswirkungen der Fristsetzung sind nicht eingetreten, die Anwartschaft auf Straffreiheit besteht uneingeschränkt. Das Gericht muss, wenn die Nachentrichtungspflicht zwischenzeitlich nicht erfüllt worden ist, eine neue Frist setzen. In die Fristbemessung hat das Gericht dann aber den inzwischen verstrichenen Zeitraum einzubeziehen.
2.4.4.5.2 Kriterien der Fristbemessung
Rz. 159
Für die Bestimmung der angemessenen Frist hat das bestimmende Strafverfolgungsorgan (Rz. 151) zwei Kriterien zu beachten:
- Zum einen ist für die Fristbemessung der kriminalpolitische Zweck der Frist zu berücksichtigen. Die in Aussicht gestellte Straffreiheit ist nur dann zu rechtfertigen, wenn die vorenthaltenen Steuern nun auch unverzüglich dem Staat zur Verfügung gestellt werden. Außerdem muss über die Frage der Straffreiheit bzw. der Durchführung des Strafverfahrens zeitnah entschieden werden.
- Zum anderen ist aber bei der Fristbemessung die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Nachentrichtungspflichtigen und damit auch mittelbar die Höhe des Nachentrichtungsbetrags nicht vollständig außer Betracht zu lassen.
Rz. 160
Bei der Abwägung beider Kriterien für die Bemessung der Nachentrichtungspflicht hat der kriminalpolitische Zweck den Vorrang. An längere Fristen, Fristverlängerungsbegehren und Ratenzahlungsvorschläge des Nachentrichtungspflichtigen sind strengere Maßstäbe anzulegen. Die Anforderungen für die Fristbemessung nach § 371 Abs. 3 AO sind höher als für die Stundung nach § 222 AO.
Durch eine zu lange Fristgewährung darf die Wirkung des Strafanspruchs – der damit zu lange hinausgezögert würde – nicht infrage gestellt werden. Bei der Fristbemessung ist demgemäß die Frage der Strafverfolgungsverjährung zwingend zu berücksichtigen. Die Fristbemessung darf nicht die missbräuchliche Verzögerung des Strafverfahrens bewirken.
Rz. 161
Die Priorität des kriminalpolitischen Zwecks darf allerdings nicht dazu führen, dass die Einräumung einer kurzen Frist zum "Strafersatz" wird und die Fristbemessung ausschließlich nach Strafzumessungserwägungen erfolgt. Die Schwere der Tat aufgrund der Tathandlung oder der Täterpersönlichkeit ist zwar nicht ohne Einfluss auf die Fristbemessung, darf allein aber nicht das ausschlaggebende Moment sein. Die Nachentrichtungspflicht ist so zu bemessen, dass der Nachentrichtungspflichtige bei größtmöglicher wirtschaftlicher Anstrengung in der Lage ist, seine Verpflichtung zu erfüllen. Sie darf nicht so kurz sein, dass ihm die Pflichterfüllung von vornherein unmöglich ist.
Rz. 162
In die Fristbemessung ist der Zeitraum zwischen Erstattung der "Selbstanzeige" und Bekanntgabe der Fristsetzung einzubeziehen, da sich der Nachentrichtungspflichtige hier bereits auf seine Pflichterfüllung einstellen konnte.
Rz. 163
Unerheblich ist für die Fristbestimmung dagegen die steuerliche Zahlungsfrist, da die strafrechtliche Nachentrichtung...