2.4.4.5.1 Rechtscharakter des Begriffs "angemessen"
Rz. 355
Die dem Nachentrichtungspflichtigen zu bestimmende Frist für die Nachentrichtung muss "angemessen" sein. Dies ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der der vollen gerichtlichen Nachprüfung unterliegt, wenn nach vermeintlicher Nichteinhaltung der Frist ein Strafverfahren durchgeführt wird.
Rz. 356
Der demgegenüber vertretenen Ansicht, dass die Frist durch das Strafverfolgungsorgan nach "pflichtgemäßem Ermessen" zu erfolgen habe, kann im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG nicht gefolgt werden, da damit der Eintritt der Strafbarkeit bzw. Straffreiheit in der Dispositionsbefugnis eines Strafverfolgungsorgans stehen würde. Eine gerichtliche Überprüfung wäre nach dieser unzutreffenden Ansicht nur hinsichtlich eines Ermessensmissbrauchs möglich.
Rz. 357
Gelangt das Gericht, das nach Klageerhebung über das Vorliegen des Strafaufhebungsgrunds zu entscheiden hat, in der Hauptverhandlung zur Überzeugung, dass die Fristsetzung nicht angemessen gewesen ist, so ist diese insgesamt unwirksam und unbeachtlich statt sich eo ipso auf eine angemessene Frist zu verlängern. Die Rechtswirkungen der Fristsetzung sind nicht eingetreten, die Anwartschaft auf Straffreiheit besteht uneingeschränkt. Wenn die Nachentrichtungspflicht nicht zwischenzeitlich erfüllt worden ist, muss das Gericht eine neue Frist setzen. In die Fristbemessung hat das Gericht dann aber den inzwischen verstrichenen Zeitraum einzubeziehen.
2.4.4.5.2 Kriterien der Fristbemessung
Rz. 358
Für die Bestimmung der angemessenen Frist hat das zuständige Strafverfolgungsorgan zwei Kriterien zu beachten:
- Zum einen ist für die Fristbemessung der kriminalpolitische Zweck der Selbstanzeige und der Frist zu berücksichtigen. Die in Aussicht gestellte Straffreiheit ist nur dann zu rechtfertigen, wenn die vorenthaltenen Steuern nun auch unverzüglich dem Staat zur Verfügung gestellt werden. Außerdem muss unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten über die Frage der Straffreiheit bzw. der Durchführung des Strafverfahrens zeitnah entschieden werden.
- Zum anderen ist aber bei der Fristbemessung die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Nachentrichtungspflichtigen und damit auch mittelbar die Höhe des Nachentrichtungsbetrags nicht vollständig außer Betracht zu lassen.
Rz. 359
Bei der Abwägung beider Kriterien für die Bemessung der Nachentrichtungspflicht hat der kriminalpolitische Zweck den Vorrang. An längere Fristen, Fristverlängerungsbegehren und Ratenzahlungsvorschläge des Nachentrichtungspflichtigen sind strengere Maßstäbe zu legen. Die Anforderungen für die Fristbemessung nach § 371 Abs. 3 AO sind höher als für die Stundung nach § 222 AO.
Durch eine zu lange Fristgewährung darf die Wirkung des Strafanspruchs – der damit zu lange hinausgezögert würde – nicht infrage gestellt werden. Bei der Fristbemessung ist demgemäß die Frage der (überlangen) Verfahrensdauer und der Strafverfolgungsverjährung zwingend zu berücksichtigen. Die Fristbemessung darf nicht die missbräuchliche Verzögerung des Strafverfahrens bewirken.
Rz. 360
Die Priorität des kriminalpolitischen Zwecks darf allerdings nicht dazu führen, dass die Einräumung einer kurzen Frist zum "Strafersatz" wird und die Fristbemessung ausschließlich nach Strafzumessungserwägungen erfolgt. Die Schwere der Tat aufgrund der Tathandlung oder der Täterpersönlichkeit ist zwar nicht ohne Einfluss auf die Fristbemessung, darf allein aber nic...