2.6.2.1 Allgemeines
Rz. 401
Die Selbstanzeige gem. § 371 AO ist ein persönlicher Strafaufhebungsgrund, sodass im Fall einer wirksamen Selbstanzeige die Möglichkeit der Bestrafung der Tat als Steuerhinterziehung entfällt (Rz. 24ff.). Ein anderer Weg zur Straffreiheit ist der im allgemeinen Strafrecht geregelte strafbefreiende Rücktritt vom Versuch gem. § 24 StGB. § 371 AO findet sowohl für die vollendete als auch für die strafbare versuchte Steuerhinterziehung Anwendung, § 24 StGB gewährt hingegen nur demjenigen Straffreiheit, der entweder die weitere Ausführung der Tat freiwillig aufgibt oder die Vollendung der Tat durch eigene Tätigkeit verhindert hat. Wird die Tat ohne Zutun des Zurücktretenden nicht vollendet, so wird er gem. § 24 Abs. 1 S. 2 StGB straflos, wenn er sich freiwillig und ernsthaft bemüht, die Vollendung zu verhindern (sog. versuchter Rücktritt). Folglich ist das Verhältnis dieser beiden Normen zueinander zu klären (Rz. 403ff.).
Rz. 402
Nach der hier vertretenden h. M. sind § 371 AO und § 24 StGB nebeneinander anwendbar, sodass der Rücktritt vom Versuch gem. § 24 StGB es gerade im Hinblick auf die seit 2011 geltende verschärfte Fassung des § 371 AO ermöglicht, bezüglich versuchter Steuerhinterziehungen Straffreiheit zu erlangen, wenn § 371 AO nicht eingreift bzw. eine Selbstanzeige unwirksam wäre. Dies kann sich insb. ergeben aus dem Vollständigkeitserfordernis des § 371 Abs. 1 AO, den verschärften Ausschlussgründe des § 371 Abs. 2 AO und der umfassenden Nachzahlungsverpflichtung des § 371 Abs. 3 AO.
Darüber hinaus ist nach einem vorherigen strafbefreienden Rücktritt eine berichtigende Erklärung nach § 153 AO ebenso möglich wie eine Selbstanzeige. Es besteht somit durchaus die Möglichkeit, zunächst vom Versuch der Steuerhinterziehung strafbefreiend zurückzutreten und in der Folge eine wirksame Selbstanzeige abzugeben, selbst wenn die versuchte Steuerhinterziehung ohne den strafbefreienden Rücktritt Teil des Berichtigungsverbundes gewesen wäre.
2.6.2.2 Das Verhältnis der Selbstanzeige gem. § 371 AO zum Rücktritt gem. § 24 StGB
Rz. 403
In der Vergangenheit wurde die Ansicht vertreten, dass § 371 AO als lex specialis § 24 StGB verdränge und auch die Rechtsprechung schloss sich dieser Meinung an. Nachdem der BGH in der Folge jedoch schon Bedenken geäußert hatte, änderte er im Jahr 1991 seine Rechtsprechung und begründete die Anwendbarkeit sowohl des § 371 AO als auch des § 24 StGB auf Fälle der versuchten Steuerhinterziehung damit, dass das Konkurrenzverhältnis der beiden Vorschriften nach ihrem Zweck zu bestimmen sei. In Fällen des § 24 StGB entfalle nach der gesetzgeberischen Entscheidung das Strafbedürfnis wegen der geringeren Gefährlichkeit und Strafwürdigkeit des (zurückgetretenen) Täters, dem zudem die Möglichkeit des Abstandnehmens von einer noch nicht vollendeten Straftat als "Belohnung" für den freiwilligen Rücktritt eingeräumt werden solle. Sinn des § 371 AO sei es hingegen gewesen, unabhängig von dem Maß der Strafwürdigkeit und Gefährlichkeit des Täters aus steuerpolitischen Gründen die Möglichkeit des Abstandnehmens von Steuerstraftaten über die allgemein geltenden Rücktrittsvorschriften des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches hinaus zu erweitern.
Rz. 404
Vor dem Selbstanzeigebeschluss des BGH v. 20.5.2010 und der darauf folgenden Novellierung des § 371 AO durch das Schwarzgeldbekämpfungsgesetz v. 28.4.2011 (vgl. Rz. 2) war die Bedeutung der Unterscheidung zwischen den Strafbefreiungen nach § 371 AO und § 24 StGB von geringer Bedeutung. Insb. durch die Möglichkeit der Teilselbstanzeige bestand nur in seltenen Ausnahmefällen die Notwendigkeit für den Rückgriff auf den Rücktritt vom Versuch gem. § 24 StGB.
Aktuell wird im Hinblick auf die n. F. des § 371 AO wieder vertreten, dass § 24 StGB beim Versuch der Steuerhinterziehung durch § 371 AO als lex specialis verdrängt werde.
Diese Ansicht wird damit begründet, dass
- das Vollständigkeitsgebot des neuen § 371 Abs. 1 AO dadurch unterlaufen werden würde, dass bei einzelnen im Versuchsstadium stecken gebliebenen Steuerhinterziehungen Straffreiheit durch den Rücktritt gem. § 24 StGB eintreten würde,
- durch die weitere Fassung der Ausschlussgründe des § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 und 2 AO gegenüber § 371 AO a. F. sämtliche Steuerstraftaten einer Steuerart gesperrt werden, und diese umfassende Sperrwirkung (sog. "Infizierung") durch die Anwendbarkeit des § 24 StGB unterlaufen würde,
- sich aus dem Selbstanzeigenbeschluss des BGH und der Gesetzesbegründung zum Schwarzgeldbekämpfungsgesetz ergäbe, dass der Zweck von § 371 AO n. F. und § 24 StGB identisch sei, sodass § 369 Abs. 2 AO zum Vorrang der steuerstrafrechtlichen Selbstanzeige vor dem allgemeinen strafrechtlichen Rücktritt führe und
- die Selbstanzeige nach Ansicht des BGH eng auszulegen sei, was durch die parallele Anwendung des § 24 StGB konterkariert würde.
Rz. 405
Die vorgebrachten Argumente überzeugen je...