Rz. 403

In der Vergangenheit wurde die Ansicht vertreten, dass § 371 AO als lex specialis § 24 StGB verdränge und auch die Rechtsprechung schloss sich dieser Meinung an.[1] Nachdem der BGH in der Folge jedoch schon Bedenken geäußert hatte[2], änderte er im Jahr 1991 seine Rechtsprechung und begründete die Anwendbarkeit sowohl des § 371 AO als auch des § 24 StGB auf Fälle der versuchten Steuerhinterziehung damit, dass das Konkurrenzverhältnis der beiden Vorschriften nach ihrem Zweck zu bestimmen sei.[3] In Fällen des § 24 StGB entfalle nach der gesetzgeberischen Entscheidung das Strafbedürfnis wegen der geringeren Gefährlichkeit und Strafwürdigkeit des (zurückgetretenen) Täters[4], dem zudem die Möglichkeit des Abstandnehmens von einer noch nicht vollendeten Straftat als "Belohnung" für den freiwilligen Rücktritt eingeräumt werden solle. Sinn des § 371 AO sei es hingegen gewesen, unabhängig von dem Maß der Strafwürdigkeit und Gefährlichkeit des Täters aus steuerpolitischen Gründen die Möglichkeit des Abstandnehmens von Steuerstraftaten über die allgemein geltenden Rücktrittsvorschriften des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches hinaus zu erweitern.

 

Rz. 404

Vor dem Selbstanzeigebeschluss des BGH v. 20.5.2010[5] und der darauf folgenden Novellierung des § 371 AO durch das Schwarzgeldbekämpfungsgesetz v. 28.4.2011 (vgl. Rz. 2) war die Bedeutung der Unterscheidung zwischen den Strafbefreiungen nach § 371 AO und § 24 StGB von geringer Bedeutung. Insb. durch die Möglichkeit der Teilselbstanzeige bestand nur in seltenen Ausnahmefällen die Notwendigkeit für den Rückgriff auf den Rücktritt vom Versuch gem. § 24 StGB.[6]

Aktuell wird im Hinblick auf die n. F. des § 371 AO wieder vertreten, dass § 24 StGB beim Versuch der Steuerhinterziehung durch § 371 AO als lex specialis verdrängt werde.[7]

Diese Ansicht wird damit begründet, dass

  1. das Vollständigkeitsgebot des neuen § 371 Abs. 1 AO dadurch unterlaufen werden würde, dass bei einzelnen im Versuchsstadium stecken gebliebenen Steuerhinterziehungen Straffreiheit durch den Rücktritt gem. § 24 StGB eintreten würde,
  2. durch die weitere Fassung der Ausschlussgründe des § 371 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 und 2 AO gegenüber § 371 AO a. F. sämtliche Steuerstraftaten einer Steuerart gesperrt werden, und diese umfassende Sperrwirkung (sog. "Infizierung") durch die Anwendbarkeit des § 24 StGB unterlaufen würde,
  3. sich aus dem Selbstanzeigenbeschluss des BGH und der Gesetzesbegründung zum Schwarzgeldbekämpfungsgesetz ergäbe, dass der Zweck von § 371 AO n. F. und § 24 StGB identisch sei, sodass § 369 Abs. 2 AO zum Vorrang der steuerstrafrechtlichen Selbstanzeige vor dem allgemeinen strafrechtlichen Rücktritt führe und
  4. die Selbstanzeige nach Ansicht des BGH eng auszulegen sei, was durch die parallele Anwendung des § 24 StGB konterkariert würde.
 

Rz. 405

Die vorgebrachten Argumente überzeugen jedoch nicht, sodass § 371 AO und § 24 StGB nebeneinander anwendbar sind. So dürfte aus der Feststellung des BGH, dass § 371 AO als Ausnahmevorschrift eng auszulegen ist (vgl. dazu Rz. 11f.; vgl. auch Rz. 166), nichts für das Verhältnis von § 24 StGB und § 371 AO herzuleiten sein, da sich die Äußerungen des BGH ausschließlich auf § 371 AO beziehen. Daraus Aussagen für die Anwendbarkeit anderer Normen – hier des § 24 StGB – abzuleiten, erscheint zu weitgehend. Es wäre allenfalls möglich festzustellen, dass auch der rechtmethodisch ebenfalls als Ausnahmevorschrift anzusehende § 24 StGB eng auszulegen sei.

Auch aus dem Vollständigkeitsgebot des § 371 Abs. 1 AO lässt sich nichts anderes ableiten, da sich daraus nur die (Un-)Wirksamkeit der jeweiligen Selbstanzeige ergibt, es jedoch keine Aussage bzgl. anderer Vorschriften wie § 24 StGB enthält.[8]

 

Rz. 406

Ebenso kann auch aus der in § 371 AO n. F. ggü. § 371 AO a. F. weiteren Fassung der Ausschlussgründe keine Aussage zur Anwendbarkeit des § 24 StGB abgeleitet werden, da auch diese Ausschlussgründe lediglich auf § 371 AO n. F. und die Wirksamkeit einer Selbstanzeige nach § 371 AO n. F. bezogen sind. Aussagen zu § 24 StGB in Form der Übertragung des Sinn und Zwecks der Sperrgründe sind daraus nicht abzuleiten. Anderenfalls wäre auch schon in der Vergangenheit ein strafbefreiender Rücktritt in den Fällen nicht möglich gewesen, in denen ein Ausschlussgrund gem. § 371 Abs. 2 AO a. F. eingriff. Auch hat der Gesetzgeber mit Wirkung zum 1.1.2015 die Ausschlussgründe teilweise wieder eingeschränkt (vgl. Rz. 181 und 220).

Darüber hinaus ist die vom BGH im Jahr 1991 vorgenommene Bestimmung des Konkurrenzverhältnisses der beiden Vorschriften nach ihrem Zweck heute noch tragfähig. Sinn des § 371 AO a. F. war es nach Ansicht des BGH vor allem, unabhängig von dem Maß der Strafwürdigkeit und Gefährlichkeit des Täters aus steuerpolitischen Gründen die Möglichkeit des Abstandnehmens von Steuerstraftaten zu ermöglichen. Dieser Zweck bestand auch als einer von zweien nach dem Urteil des BGH zur Selbstanzeige v. 20.5.2010 fort.[9]

[1] BGH v. 18.10.1956, 4 StR 166/56, BB 1957, 210 unter der Ge...

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