Rz. 30
Ein Irrtum über Tatumstände (sog. Tatumstandsirrtum) schließt gem. § 11 Abs. 1 S. 1 OWiG den Vorsatz aus. Eine Verfolgbarkeit wegen fahrlässiger bzw. leichtfertiger Begehungsweise bleibt jedoch bestehen, § 11 Abs. 1 S. 2 OWiG. Insoweit bestehen keine Besonderheiten gegenüber der strafrechtlichen Regelung durch § 16 StGB, sodass auf § 369 AO Rz. 57 verwiesen werden kann.
Rz. 31
Obwohl § 11 Abs. 2 OWiG den Verbotsirrtum abweichend von § 17 StGB definiert (fehlendes Bewusstsein der "Unerlaubtheit" statt des "Unrechts"), liegt darin kein sachlicher Unterschied. Die abweichende Diktion ergibt sich lediglich aus dem fehlenden Strafcharakter des Ordnungswidrigkeitenrechts. Ein Verbotsirrtum führt nur dann zum Ausschluss der Vorwerfbarkeit, wenn der Täter ihn nicht vermeiden konnte. Für ihn war der Irrtum vermeidbar, wenn er sich nicht im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren über die Rechtslage erkundigt hat. Für den Täter besteht – unter Berücksichtigung seiner Persönlichkeit sowie seines Lebens- und Berufskreises – die Verpflichtung, alle vorhandenen Mittel einzusetzen, um zur richtigen Erkenntnis zu gelangen; insb. besteht für ihn eine weitgehende Prüfungs- und Erkundigungspflicht.
Ein unvermeidbarer Verbotsirrtum mag zwar im Ordnungswidrigkeitenrecht häufiger vorkommen als im Strafrecht, da die im Ordnungswidrigkeitenrecht zum Ausdruck kommenden Werturteile oft auf reinen Zweckmäßigkeitserwägungen basieren und nicht auf sozialethischen Unwerturteilen, sodass sie sich dem Betroffenen nicht unmittelbar aufdrängen. Aber auch im Ordnungswidrigkeitenrecht ist ein unvermeidbarer Verbotsirrtum selten, da bei bestehenden oder sich aufdrängenden Zweifeln der Täter verpflichtet ist, fachliche Auskünfte einzuholen. Die Unvermeidbarkeit des Verbotsirrtums setzt nach der Rechtsprechung des BGH voraus, dass "der Täter alle seine geistigen Erkenntniskräfte eingesetzt und etwa aufkommende Zweifel durch Nachdenken oder erforderlichenfalls durch Einholung eines verläßlichen und sachkundigen Rechtsrats beseitigt hat". Folglich müssen sowohl die Auskunftsperson als auch die Auskunft verläßlich sein.
Dem Rat eines Rechtsanwaltes, der den Sachverhalt umfassend – und nicht nur auf die Schnelle – geprüft hat, kann man regelmäßig vertrauen, wenn kein Umstand vorliegt, der Anlass zu Zweifeln gibt. Allerdings muss der Rechtsanwalt vollständig und zutreffend informiert worden sein, er muss objektiv und sachkundig sein und sich nach pflichtgemäßer Prüfung der Sach- und Rechtslage verbindlich geäußert haben. Ob die Auskunft einer eigenen Rechtsabteilung in einem Unternehmen ausreichend ist, hängt vom konkreten Einzelfall und dabei insb. von erkennbaren Eigeninteressen des Unternehmens ab.
Rz. 32
Im Gegensatz zum unvermeidbaren Verbotsirrtum, der sanktionsausschließend wirkt, ist der vermeidbare Verbotsirrtum i. d. R. sanktionsmildernd zu berücksichtigen.