Rz. 37

Eine Ermessensunterschreitung liegt vor, wenn die Finanzbehörde das ihr zustehende Ermessen nicht ausübt (sog. Ermessensnichtgebrauch).[1] Dies kann auf der unzutreffenden Auslegung der Ermächtigungsnorm oder darauf beruhen, dass der Finanzbehörde der im Einzelfall eröffnete Ermessensspielraum überhaupt nicht oder hinsichtlich des Umfangs nicht bekannt oder bewusst war[2] oder dass sie sich zu Unrecht durch eine frühere Entscheidung gebunden oder an der Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts nach § 130 Abs. 1, 2 AO gehindert sah. Die Finanzbehörde verhält sich in diesen Fällen rechtswidrig, weil sie nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet ist, ihren Ermessensspielraum auszuschöpfen.[3] Die Finanzbehörde verletzt das subjektiv-öffentliche Recht des Betroffenen auf volle Ausschöpfung des Ermessensspielraums, wenn sie diese Verpflichtung nicht erfüllt.[4] Ausnahmsweise kann allerdings auch das Nichttätigwerden der Finanzbehörde eine der ihr eingeräumten zutreffenden Wahlmöglichkeiten und damit rechtmäßig sein.[5]

 

Rz. 38

Bei der Ermessensunterschreitung durch Nichtausschöpfung des Ermessensrahmens ist eine Nachholung der unterlassenen Ermessenserwägungen bis zum Ende des Einspruchsverfahrens möglich[6] und u. U. auch geboten.[7] Ein sog. "Computer-Ermessen" darf das individuelle Ermessen nicht ersetzen.[8] Bereits die maschinelle Vorgabe von Entscheidungsvorschlägen begegnet erheblichen Bedenken.

[4] Neumann, in Gosch, AO/FGO, § 5 AO Rz. 13.
[5] Drüen, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 5 AO Rz. 42.
[7] Z. B. Neumann, in Gosch, AO/FGO, § 5 AO Rz. 25; BFH v. 5.3.1993, VI R 79/91, BStBl II 1993, 692.
[8] Zutr. Drüen, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 5 AO Rz. 42.

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