Rz. 16
Die Haftungsinanspruchnahme geschieht nach vorheriger Anhörung der betroffenen Organgesellschaft durch Haftungsbescheid. Dieser ist zu begründen. Die Haftung kann auch dann geltend gemacht werden, wenn zur Zeit des Erlasses des Haftungsbescheids das Organschaftsverhältnis nicht mehr besteht, zur Zeit der Entstehung des Steueranspruchs aber bestanden hat. Die Haftungsinanspruchnahme steht im pflichtgemäßen Ermessen der Finanzbehörde. Daraus kann folgen, dass die – an sich mögliche – Inanspruchnahme der Organtochter lange nach Beendigung des Organschaftsverhältnisses ermessensfehlerhaft sein kann. Die Gründe für die Ausübung des Handlungs- und Auswahlermessens müssen im Haftungsbescheid angegeben sein.
Rz. 17
Bei der Ausübung des Ermessens ist insbesondere für die Höhe des geltend zu machenden Haftungsanspruchs von der Finanzbehörde zu berücksichtigen, ob die Haftung der Organgesellschaft insoweit angemessen ist, als sie sich auf nicht von dieser Gesellschaft verursachte Steuern bezieht.
Rz. 18
Besteht nur eine umsatzsteuerliche Organschaft, scheidet eine Haftungsinanspruchnahme der Organgesellschaft für die KStG des Organträgers aus. Die Organgesellschaft haftet dem Grunde nach für alle Steuern, die im Organkreis verursacht worden sind; im Rahmen der Ermessensausübung soll die Haftung aber grds. auf die in ihrem eigenen Betrieb oder im Betrieb des Organträgers verursachten Steuern beschränkt sein. Eine Begrenzung der Haftungsinanspruchnahme einer (ggf. nachrangigen) Organgesellschaft erfolgt im Rahmen der Ermessensausübung jedoch nicht, wenn der Organträger oder andere Organgesellschaften Vermögenswerte unentgeltlich auf die Organgesellschaft übertragen, unentgeltliche Nutzungen oder Leistungen gewährt haben oder keine Trennung der Vermögenssphäre der Organteile möglich ist. Diese Grundsätze gelten für die Ansprüche auf Erstattung von Steuerbeträgen entsprechend.
Rz. 19
Die Herkunft von Teilen der Besteuerungsgrundlagen ist – insbesondere bei der USt – nicht immer leicht zu klären. Da die Einschränkung der Haftungsmöglichkeit die Ausnahme ist, braucht das FA die dazu führenden Umstände nicht von sich aus zu ermitteln und zu prüfen, sofern nicht im Einzelfall die Voraussetzungen des § 89 AO gegeben sind. § 88 AO fordert nicht das Suchen nach Minderungsgründen durch das FA, wenn für diese keine konkreten Anhaltspunkte vorhanden sind. Das FA braucht daher auch keine Darlegungen zu diesem Punkt in die Begründung des Haftungsbescheids aufzunehmen, wenn nicht die Organgesellschaft im Rahmen der Gewährung rechtlichen Gehörs nach § 91 AO entsprechende Anhaltspunkte vorgetragen hat. Die Organgesellschaft hat durch leicht nachprüfbare Unterlagen und Berechnungen darzulegen, welche Steuern sie nicht verursacht hat. Sie kann für sämtliche Steuern des Organkreises in Anspruch genommen werden, wenn sie zur Beschränkung keine Angaben vorlegt oder die vorgetragenen Berechnungsgrundlagen für die Beschränkung nicht leicht und eindeutig zuzuordnen sind.
Rz. 20
Grundsätzlich ist es nicht Aufgabe der Ermessensausübung, das Gesetz für den Regelfall entscheidend einzuengen. Gerade weil eine genaue Abgrenzung der Steuern des Organträgers nach ihrer Herkunft der Finanzbehörde kaum zumutbar ist, hat der Gesetzgeber eine weite Fassung des Wortlauts der Haftungsvorschrift gewählt, die alle Steuern erfasst. Zum Teil wird nach umsatzsteuerlichen, gewerbesteuerlichen und körperschaftsteuerlichen Organschaften differenziert. Hieraus soll auf eine unterschiedliche Anwendung der Haftungsvorschrift des § 73 AO auf die einzelnen Steuerarten mit Organschaftsregelungen geschlossen werden. Es ist aber darauf hinzuweisen, dass § 73 AO bewusst weiter als § 114 RAO gefasst worden ist, der die Haftung nur auf Steuern bezog, die sich auf den Betrieb des Unternehmens gründen. Allerdings zielte § 114 RAO in erster Linie auf die einzige damals gesetzlich geregelte Organschaft ab, nämlich die bei der Gewerbesteuer. Die jetzige Verwaltungsanweisung zu § 73 AO zeigt jedoch ein sehr differenziertes Bild.