Rz. 40

Die Haftung nach § 75 AO ist zwar persönlich, jedoch vorgangs- und nicht personenbezogen. Auf die Kenntnis von der Steuerschuld kommt es daher für die Haftung nicht an. Die Vorschrift erfasst nach ihrem Wortlaut nur Steuern und die Erstattung von Steuervergütungen, nicht dagegen andere Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis.

Gemäß § 1 Abs. 3 AO sind zwar die Vorschriften der AO auch auf steuerliche Nebenleistungen entsprechend anzuwenden. Dennoch kann dies nicht für die Haftung nach § 75 AO gelten, da die AO in den Haftungsvorschriften teilweise nur von Steuern spricht, an anderen Stellen jedoch weiterreichende Begriffe verwendet, die die steuerlichen Nebenleistungen umfassen. Wenn dann in § 75 AO nur die Steuern genannt werden, so müssen die steuerlichen Nebenleistungen grundsätzlich außen vor bleiben.[1] Zinsen fallen allerdings ebenfalls unter diese Haftungsvorschrift, da nach § 239 Abs. 1 S. 1 AO auf sie die für die Steuern geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden sind.[2]

 

Rz. 41

Die Haftung des Erwerbers betr. Steuern bezieht sich auch auf diejenigen Steuern, für die den Veräußerer eine Haftungsschuld trifft. § 75 AO sieht nämlich nicht eine Haftung für Steuerschulden, sondern für Steuern vor.

Die Haftung erstreckt sich allerdings nicht auf alle Steuern und damit auch nicht auf alle Zinsen. Sie ist vielmehr sachlich, zeitlich und gegenständlich beschränkt. Sie bezieht sich auch nur auf die Steuern und Zinsen, die der Veräußerer schuldet oder für die er haftet. Verkauft ein Verpächter den Pachtbetrieb, so haftet der Erwerber zwar u. U. für die Steuern des Verpächters, nicht dagegen für diejenigen des (übernommenen) Pächters.[3] Im Fall der Übernahme eines Teilbetriebs kann sich die Haftung auch nur auf die aus diesem Teilbetrieb stammenden Steuern beziehen, nicht dagegen auf die aus dem gesamten Unternehmen kommenden Steuern.[4]

[1] Im Ergebnis ebenso Loose, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 75 AO Rz. 38; Blesinger, in Kühn/v. Wedelstädt, AO/FGO, 22. Aufl. 2018, § 75 AO Rz. 20.
[2] Ebenso Boeker, in HHSp, AO/FGO, § 75 AO Rz. 78; a. A. BFH v. 5.10.2004, VII R 76/03, BStBl II 2006, 3; Loose, in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 75 AO Rz. 38; Jatzke, in Gosch, AO/FGO, § 75 AO Rz. 24.

5.1 Sachliche Beschränkung der Haftung

 

Rz. 42

Die Haftung besteht nur für:

• Steuern, bei denen sich die Steuerpflicht auf den Betrieb des Unternehmens gründet.

Beim Übergang eines gesondert geführten Betriebs muss sich die Haftung noch enger, als der Wortlaut der Vorschrift sagt, auf die Steuern beschränken, bei denen sich die Steuerpflicht auf den Betrieb des Teilbetriebs gründet. Eine weitergehende Haftung für die entsprechenden Steuern des gesamten Unternehmens wäre mit dem Sinn und Zweck der Vorschrift (vgl. Rz. 1) nicht zu vereinbaren.

Der Begriff der Steuern, bei denen sich die Steuerpflicht auf den Betrieb des Unternehmens gründet[1], ist in RFH v. 15.6.1927, IV A 192/27, AS Bd. 21, 217 grundlegend umschrieben worden. Hiernach genügt es nicht, dass der steuerpflichtige Vorgang an den Betrieb anknüpft oder in innerer, kausaler Beziehung zum Unternehmen steht oder der Verwirklichung des Zwecks des Unternehmens dient. Die Tatsache, dass es sich um Betriebsausgaben handelt, ist also nicht entscheidend. Vielmehr ist erforderlich, dass die Steuerpflicht durch bestimmte, in den einzelnen Steuergesetzen selbst bezeichnete Tatbestände an den Betrieb eines Unternehmens geknüpft ist, so z. B. wenn die Steuerpflicht nach dem für sie gesetzlich geforderten Tatbestand nur beim Inhaber des Unternehmens durch bestimmte Betriebshandlungen entstehen kann, also das Vorhandensein eines Unternehmens zwingend erfordert.[2] Wenn dagegen der Tatbestand auch unabhängig vom Bestehen des Unternehmens erfüllt werden kann, so kommt eine Haftung nach § 75 AO nicht in Betracht.

 

Rz. 43

Betriebsbedingte Steuern i. d. S. sind:

  • USt ausschließlich der EUSt und der Rechnungssteuer nach § 14c Abs. 2 UStG,
  • GewSt, früher einschließlich der Lohnsummensteuer,
  • Rennwettsteuer bei Totalisator- und Buchmacherunternehmen,
  • Verbrauchsteuern bei Herstellungsbetrieben,
  • Versicherungssteuern bei Versicherungsunternehmen,
  • in der Vergangenheit die Beförderungssteuer[3],
  • Straßengüterverkehrsteuer.

Nicht betriebsbedingte Steuern sind hiernach:

KraftSt[4], Zölle, ESt (einschl. LSt u. KapESt; s. aber Rz. 44), KSt, VSt, ErbSt, GrSt, GrESt, WechselSt (entfallen ab 1.1.1991), HundeSt (auch nicht für Betriebshunde). Auch die nach §§ 40 Abs. 1 oder 2, 40a oder 40b EStG ermittelte pauschale LSt ist keine betriebsbedingte Steuer, wenn sie auch vom BFH ständig unzutreffend als "Unternehmenssteuer eigener Art" bezeichnet wird.[5] Pauschalierte LSt kann auch von einem Arbeitgeber geschuldet werden, der nicht Unternehmer ist.

 

Rz. 44

• Ansprüche auf Erstattung von Steuervergütungen.[6] Der Erstattungsanspruch[7] muss aus einer der als betriebsbedingt genannten Steuern resultieren. ...

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