Rz. 15
Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verlangt für das Steuerrecht, dass die Stpfl. nicht nur rechtlich, sondern auch tatsächlich gleich belastet werden. Er wendet sich sowohl an den Gesetzgeber als auch an die Finanzbehörden und Gerichte. Besteuerungsgleichheit besteht aus zwei Komponenten.
Rz. 16
Zum einen bedarf es einer Gleichheit der normativen Steuerpflicht. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, alle unter einen sachgerechten Besteuerungsmaßstab fallenden als Steuersubjekt zu erfassen und prinzipiell gleichmäßig zu belasten (Rechtsetzungsgleichheit). Für Verschonungs-, Befreiungs- und Entlastungsregelungen hat der Gesetzgeber seine Überlegungen schlüssig und anhand seiner politischen Steuerungsüberlegungen herzuleiten. Entspricht das materielle Steuergesetz diesen Anforderungen, lassen aber die Verfahrensvorschriften eine gleichmäßige Besteuerung nicht zu, so wird hierdurch die Besteuerungsgleichheit verletzt. Beinhalten die Verfahrensvorschriften strukturelle – einen gleichmäßigen Belastungserfolg prinzipiell verfehlende – Vollzugsdefizite und ist dieses Ergebnis dem Gesetzgeber zuzurechnen, so zieht dies zusätzlich die Verfassungswidrigkeit der materiellen Steuerrechtsnorm nach sich. Das Gebot der Folgerichtigkeit fordert, dass die Gleichheit im Belastungserfolg sichergestellt werden kann und keine die Ermittlung des zu besteuernden Sachverhalts hindernde Vollzugshemmnisse vorhanden sind. Hängt der Beginn des Besteuerungsverfahrens von der Abgabe einer Steuererklärung ab, so ist diesem Grundsatz nur dann genügt, wenn die Finanzbehörde die eine Abgabepflicht begründenden Umstände sicher herleiten und die steuerlichen Angaben hinreichend verifizieren, bzw. die Nichtabgabe der Steuererklärung geahndet werden kann. Der Gesetzgeber hat hiernach ein dem fiskalischen Risiko angemessenes Kontrollsystem zu installieren, sodass die Herstellung der Belastungsgleichheit nicht allein von der Steuerehrlichkeit des Erklärungspflichtigen abhängt.
Das Gebot tatsächlich gleicher Steuerbelastung durch gleichen Gesetzesvollzug verbietet in den Verantwortungsbereich des Gesetzgebers fallende, strukturell gegenläufige Erhebungsregeln im Zusammenwirken mit der zu vollziehenden materiellen Steuernorm. Strukturell gegenläufig wirken diese sich gegenüber einem Besteuerungstatbestand aus, wenn sie dazu führen, dass der Besteuerungsanspruch weitgehend nicht durchgesetzt werden kann. Die Frage, ob der Gesetzgeber von ihm angepeilte Ziele – im Steuerrecht die Erzielung von Einnahmen oder auch Lenkungsziele – faktisch erreicht, ist rechtsstaatlich allein noch nicht entscheidend. Vollzugsmängel, wie sie immer wieder vorkommen können und sich tatsächlich ereignen, führen allein noch nicht zur Verfassungswidrigkeit der materiellen Steuernorm. Verfassungsrechtlich verboten ist jedoch ein Widerspruch zwischen dem normativen Befehl der materiell pflichtbegründenden Steuernorm und der nicht auf Durchsetzung dieses Befehls angelegten Erhebungsregel. Unter diesem Blickwinkel begegnete z. B. Einführung einer Katzensteuer ohne die Führung eines Katzenregisters erheblichen Bedenken. Zur Gleichheitswidrigkeit führt nicht ohne weiteres die empirische Ineffizienz von Rechtsnormen, wohl aber das normative Defizit des widersprüchlich auf Ineffektivität angelegten Rechts.
Stehen für die zu besteuernden Sachverhalte keine anderen Beweis- und/oder Erkenntnismittel zur Verfügung als die Angaben des Stpfl., ist eine Verifikation durch die Finanzbehörde der Angaben ausgeschlossen und es droht eine mögliche Verfassungswidrigkeit der Erhebung der hierauf lastenden Steuer. Als Nebenstrang bei der Heranziehung des Steuersubstrats hat der Gesetzgeber damit auch stets die Aufdeckung unbekannter Steuerfälle und die Überprüfung steuerlicher Angabe zu bedenken. Häufig werden hierzu Mitwirkungshandlungen der Steuerquelle in Form von Anzeige- und Mitteilungspflichten geregelt. Mitunter werden aber auch behördliche Zulassungsverfahren um eine Mitteilung zu steuerlichen Zwecken erweitert.
Rz. 17
Prominentes Beispiel für eine fehlgeleitete Vollzugsregel ist die Besteuerung von Kapitalerträgen nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5, § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG in der jeweils für die Jahre 1994ff. geltenden Fassung. Im Ergebnis entging der Gesetzgeber dem Ausspruch der Verfassungswidrigkeit nur dadurch, weil ihm nach dem "Zinsurteil" ein längerer und in Bezug auf die fraglichen Besteuerungszeiträume noch nicht abgelaufenener Beobachtungszeitraum bezüglich der Wirkung der zwischenzeitlich ergangenen Neuregelung zugestanden worden ist.
Die seinerzeit geltende Rechtslage sah aufgrund des Bankgeheimnisses keine hinreichende Möglichkeit, die Richtigkeit der hierzu erklärten Angaben zu überprüfen. Als Reaktion auf diesen Urteilsspruch führte der Gesetzgeber das Bankengeheimnis auf den eigentlichen Kern, nämlich auf das Verbot, Gelegenheitsfunde bei der Überprüfung der steuerlichen Verhältnisse der Bank zu nutzen, um die Besteuerung der Bankkunden sicherste...