Rz. 9
§ 87a Abs. 1 S. 2 AO bestimmt analog § 130a Abs. 3 ZPO, wann ein elektronisches Dokument zugegangen ist. Maßgebend ist danach der Moment, in dem die Empfangseinrichtung das Dokument in für den Empfänger bearbeitbarer Weise aufgezeichnet hat. Erforderlich ist, dass das Dokument vom Empfänger geöffnet und gelesen werden kann, damit dieser ggf. die Möglichkeit zur Einleitung rechtswahrender Verhaltensreaktionen hat. Ein Dokument, bei dem diese Möglichkeit nicht besteht, ist nicht zugegangen und löst deshalb auch keine zugangsbezogenen Rechtsfolgen aus. Die Möglichkeit einer Weiterverarbeitung (die z. B. durch einen Schreibschutz beeinträchtigt sein kann) ist hingegen nicht notwendig.
Rz. 10
Die tatsächliche Kenntnisnahme des Empfängers ist ebenfalls unmaßgeblich. Die an den Zugang des Dokuments geknüpften Rechtsfolgen (z. B. Wahrung von Antrags- und Einspruchsfristen) treten damit unabhängig von einem Bildschirmaufruf oder einem Dokumentenausdruck ein. Dieses Zugangsverständnis entspricht der zivilrechtlichen Definition des Erklärungszugangs unter Abwesenden. Die Erklärung unter Abwesenden wird wirksam, wenn sie derart in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, dass bei Annahme gewöhnlicher Umstände der Empfänger die Möglichkeit ihrer Kenntnisnahme hat und diese nach den Gepflogenheiten des Rechtsverkehrs auch erwartet werden kann. Im Fall elektronischer Medien besteht die Möglichkeit der Kenntnisnahme des Erklärungsinhalts stets bei aufrufbarer Aufzeichnung durch das Empfangsgerät. Zur Vermeidung von Rechtsnachteilen muss der elektronische Kommunikationspartner die von ihm bereitgestellte elektronische Empfangsvorrichtung somit regelmäßig einsehen bzw. durch organisatorische Maßnahmen sicherstellen, dass deren Inhalte regelmäßig abgefragt werden.
Rz. 11
Die Zugangsregelung des § 87a Abs. 1 S. 2 AO wird bei der elektronischen Übermittlung von Verwaltungsakten durch die in § 122 Abs. 2a AO und § 123 S. 2 AO vorgesehenen Bekanntgabefiktionen (Bekanntgabe am dritten Tag nach der Absendung) überlagert. Die Bestimmung ist zwar auf die Online-Kommunikation zugeschnitten. Sie gilt nach ihrem Wortlaut aber auch für die Inhalte sonstiger für die elektronische Kommunikation bestimmter Datenträger (z. B. Disketten, CD/DVD), die auf dem herkömmlichen Postweg versandt werden.
Rz. 11a
Durch das Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens wurde im Abs. 1 S. 2 ein zweiter Halbsatz im Interesse der Rechtssicherheit eingefügt. Dieser Hinweis stellt klar, dass §§ 122 Abs. 2a, 122a AO die gesetzlichen Fiktionen zum Tag der Bekanntgabe in Fällen elektronisch übermittelter oder zum Datenabruf bereitgestellter Verwaltungsakte enthalten. Diese Fiktionen gelten nicht, wenn der Empfänger die Daten in den Fällen des § 122 Abs. 2a AO nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt erhalten hat. In den Fällen des § 122a Abs. 5 AO gilt Entsprechendes, wenn er die Benachrichtigung über die Datenbereitstellung tatsächlich nicht erhalten hat, bzw. er in den Fällen des § 122a Abs. 6 AO die Daten nicht abgerufen hat. Ist also die vorrangig zu untersuchende Zugangsfiktion der §§ 122 Abs. 2a, 122 Abs. 5 und 6 AO in Fällen der elektronischen Kommunikation durch die Behauptung des Stpfl. widerlegt, er habe die elektronische Nachricht nicht erhalten, so greift der Grundfall des § 87a Abs. 1 S. 2 1. Halbs. AO mit der Folge, dass derjenige, der sich auf die wirksame Bekanntgabe beruft, die Voraussetzungen der Bekanntgabe wird belegen müssen. Während dies in den Fällen des § 122 Abs. 2a AO ausgeschlossen erscheint, da hierzu ein Zugriff auf den Server des Stpfl. erforderlich wäre, kommt dies in den Fällen des § 122a Abs. 5 und 6 AO in Betracht. Der Finanzverwaltung ist der Nachweis möglich, ob und zu welchem Zeitpunkt der Stpfl. das Dokument abgerufen hat.